Worte in die Zeit – 16. Sonntag im Jahr

Wenn sich Christen für den Frieden einsetzen, wenn sie sich verantwortlich fühlen für die Schöpfung Gottes, wenn sie für die grundlegendsten Menschenrechte kämpfen, dann, liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitchristen, stoßen sie gar oft auf Verständnislosigkeit und Kopfschütteln.

„Das kann doch nicht Sache der Kirche sein“, so hört man oft. Die Kirche mische sich in die Politik ein; und da solle sie sich raushalten, denn davon verstehe sie nichts. Politik sei eben Politik und Religion sei Religion – ganz getreu dem Motto: Schuster bleib bei deinem Leisten!

Doch die Frage „Was hat denn das mit Religion zu tun?“ hört man auch hin und wieder bei offensichtlich ganz profanen Themen, in denen die Begriffe wie Gott, Jesus, Kirche und Sakramente gerade nicht vorkommen, die Kirche oder ihre Mitglieder aber dennoch dazu Stellung beziehen. Da tut sich so mancher schwer, dieses Thema als „religiös“ zu betrachten und es wir gekontert: „Wie ich mit der Welt und mit meinen Mitmenschen umgehe, was hat denn das mit Religion zu tun? Man kann doch schließlich auch ohne Glauben Gutes tun!“ Dazu, meint der eine oder andere, braucht man die Religion nicht. Christentum findet dann ausschließlich im Gottesdienst und vielleicht noch im viel zitierten „stillen Kämmerlein“ statt. Mit der Welt und dem Alltag soll es – bitte schön – nichts zu tun haben.

Und das heutige Evangelium des Lukas (Lk 10, 38-42) scheint dieser Haltung zunächst recht zu geben: Maria und Marta, zwei Schwestern, die dem Jüngerkreis Jesu angehören, verhalten sich ganz unterschiedlich. Maria setzt sich einfach hin und tut nichts als Zuhören. Marta dagegen arbeitet ohne Rast und Ruhe und beschwert sich, dass Maria ihr nicht hilft. Und wie reagiert Jesus? Er lobt nicht Marta, sondern Maria; die, die nichts tut; die, die nur zuhört. „Maria hat das Bessere gewählt“, sagt er.

Soll das etwa heißen, es sei besser, die Hände in den Schoß zu legen, anstatt im Sinne Jesu tatkräftig zuzupacken und sich einzusetzen? Behalten also die recht, für die Religion nichts mit der Veränderung der Welt zu tun hat? Ist alles Handeln sinnlos und spielt sich das Christentum tatsächlich ausschließlich im Kirchenraum ab? Genügt es – einmal konkret gesprochen – für die Hungernden und Notleidenden zu beten und dann nichts mehr für die Beseitigung der Ungerechtigkeit zu tun?

Eine solche Auslegung des heutigen Evangeliums würde jedoch der Einstellung Jesu völlig widersprechen! Sie reißt außerdem die Bibelstelle aus ihrem Zusammenhang im gesamten Lukasevangelium. Kurz vor der Schilderung des Besuches Jesu bei Marta und Maria berichtet Lukas nämlich von der Frage, die ein Pharisäer an Jesus stellt: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ Jesus antwortet ihm mit dem Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Dann verdeutlicht er das, was er dem Pharisäer mitteilen will, im Gleichnis vom barmherzigen Samariter.

Hier geht Jesus hart mit einer rein kultischen Frömmigkeit ins Gericht. Deutlich hält er den vermeintlichen Frommen vor Augen, dass ihr ganzes Getue wertlos ist, solange es keine Konsequenzen im Verhalten gegenüber den Mitmenschen hat. Das Gebet, das Lesen und das Hören des Wortes Gottes, alles bleibt sinnlos, solange es nicht zu konkretem Handeln anleitet.

Und gleichsam als Kontrast fügt Lukas nun die Geschichte von Maria und Marta an. Sie ergänzt – meine ich – die Aussage der vorhergehenden Bibelstelle. Marta wird demnach gar nicht getadelt, weil sie arbeitet, sondern weil sie vor lauter Arbeit nicht auf das hört, was Jesus ihr zu sagen hat. Und Maria wird nicht gelobt, weil sie nichts tut, sondern weil sie zur rechten Zeit auf das Wort Gottes hört. Das bedeutet aber in keiner Weise, dass das Hören auf das Wort immer dem Handeln vorzuziehen wäre.

Der Sinn dieser Erzählung lässt sich eher – wenn auch ein wenig provozierend – vielleicht so formulieren: Der Christ kann auch in Geschäftigkeit, durch seiner Hände Arbeit und in all seinem täglichen Tun Gott dienen, wenn er weiß, warum er dies tut, und wenn er die Geschäftigkeit nicht Herr über sich werden lässt; er kann aber auch durch zu viel Beschaulichkeit, Frömmigkeit und Innerlichkeit das Wichtige, das Tragende und Eigentliche seines Lebens übertönen und verdrängen. Das Evangelium von Maria und Marta will das Viele in das rechte Verhältnis zu dem Einen bringen – es will uns anhalten, das wenige, wirklich Wichtige zu tun und das Nebensächliche auch einmal auf sich beruhen zu lassen.

Dazu möchte ich ein paar „Anwendungen“ für uns versuchen: Die meisten von uns sind voller Aktivitäten, haben viele Pflichten, Aufgaben und Dienste. Wir können sie nicht einfach aufgeben, wegstreichen, vernachlässigen. Aber, und dazu hält uns die Geschichte an, es gilt immer wieder zu überdenken und zu überprüfen, ob alles so sinnvoll ist, was wir tun, ob es auch wirklich mein Leben und das Leben anderer fördert, oder ob nicht auch mancher Leerlauf und manche Sinnlosigkeit dabei ist. Fragen und prüfen müssen wir uns alle, ob wir nicht durch unser Aktiv-Sein eigene Schwächen überdecken, wirklichen Begegnungen ausweichen, Selbsterkenntnis und Selbstfindung verhindern. Wenn dem so wäre, dann wäre es an der Zeit, einiges sein zu lassen und aufzugeben, um weniger, aber das umso gründlicher zu tun.

Wenn ich aber das Viele nicht verhindern kann, wenn ich es einfach tun muss, wenn ich dazu gebraucht werde, und wenn mir die vielen Tätigkeiten auch sinnvoll erscheinen, dann lerne ich aus dem heutigen Evangelium, das Viele in Verhältnis zu dem Einen zu bringen. Das heißt, wir müssen in dem Vielerlei Punkte und Stellen der Konzentration, der Besinnung, des Kraftschöpfens und Auftankens finden, damit wir nicht verzehrt und verbraucht werden. Möglichkeiten dafür könnten sein: Minuten der Stille und der Besinnung, die wir in den Tagesablauf einbauen; ein Tag der Stille und der Ruhe auch einmal im Bereich der Familie; Zeiten des Alleinseins und des Gebetes; ein Gespräch oder eine Begegnung mit jemandem, der mir Wichtiges zu sagen hat.

Alles Quellen und Möglichkeiten, über dem Vielen das eine Eigentliche nicht zu vergessen, mit dem Wirrwarr der Stimmen die eine wichtige Stimme nicht zu übertönen, nämlich Gott, der die Mitte ist, der mein Leben trägt. Möglichkeiten auch, sich die Haltung anzueignen, dass wir mit allen Lebensvollzügen, mit all unserem Tun und Lassen, mit Ruhe und Handeln, mit Arbeit und Freizeit Gott dienen – wenn wir uns nur von seinem Wort treiben lassen.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und einen guten Start in die kommende Woche!

Ihr Hubert Treske, Don Bosco Forchheim