Worte in die Zeit – 10. Sonntag im Jahr

„Der Tod ist groß; wir sind die Seinen lachenden Munds; wenn wir uns mitten im Leben meinen, wagt er zu weinen, mitten in uns.“

Dieses Wort von Rainer Maria Rilke ist mir unwillkürlich in den Sinn gekommen, liebe Leserinnen und Leser, liebe Mitchristen, als ich mir das Evangelium zum heutigen Sonntag durchgelesen habe: „Als er (Jesus) in die Nähe des Stadttores kam, trug man gerade einen Toten heraus. Er war der einzige Sohn seiner Mutter, einer Witwe. Und viele Leute aus der Stadt begleiteten sie.“ (Lukas 7, 12)

„Der Tod ist groß.“ – Dieses Wort, so lehrt uns auch unser Leben, bewahrheitet sich Tag für Tag. Was uns dann – wenn wir dem Tod begegnen – berührt, traurig macht und weh tut, ist seine Größe und Schrecklichkeit, die er gerade im letzten Abschied zeigt.

Doch kehren wir noch einmal kurz zurück zur Szene aus dem Lukas-Evangelium:

Da ist ein einmaliges Leben, wie es auf dieser Erde nicht war und nie mehr sein wird, ist zu Ende gegangen. Der Tod ist groß! Er hat nicht nur den Sohn dieser Witwe getroffen, sondern auch viele Menschen der Stadt! Ungefragt wurde auch diesen Menschen, die nun den Toten und seine Mutter begleiten, das Leid zugemutet, verlassen zu werden, das Leid, dass einer von ihnen gehen und sterben musste.

Geht es uns in solchen Augenblicken, die wir sicher selbst schon erlebt haben, anders? Werden wir da nicht auch hineingezogen in die unaufhaltsame Todesbewegung?

Ein Mensch wird uns genommen; seine Stimme, sein Blick, seine Art zu leben, eben er selbst. Erfahrungen, Beziehungen, Dinge, die wir nur mit ihm tun konnten, sind auf einmal zu Ende. Der Tod ist nicht nur der Tod des Verstorbenen. Dieser Tod ist auch ein Stück Tod unseres eigenen Lebens; er nimmt den Verwandten, den Bekannten, den langjährigen Arbeitskollegen – wen auch immer. Der Tod hat uns in dem Augenblick etwas aus der Hand geschlagen, und dem Verstorbenen das ganze Leben. Der Tod zieht uns in ein Stück Verlassenheit hinein; der Tod macht eben vor nichts Halt macht, nicht einmal vor dem Gefühl der Verlassenheit! – Der Tod ist groß, er hat gesiegt!

Hat er es wirklich? Viele Menschen antworten mit Ja, denn nichts im Leben scheint mächtiger als der Tod.

Vom ersten Augenblick des Daseins an ist der Mensch vom Tod bedroht. Keiner weiß, wann er kommt; gegen ihn ist kein Kraut gewachsen. Sinnlos, vor dem Tod fliehen zu wollen; am Ende holt er uns alle ein. Zwecklos, gegen den Tod zu kämpfen; der Tod ist groß, am Ende bleibt er doch Sieger!

Und fast könnte man es auch glauben – gäbe es nicht auch noch den zweiten Teil der Erzählung bei Lukas: in dem Augenblick, da der Tod so groß schien, als er die Macht über das Leben genommen hatte, in dem Augenblick, als alle, die dabei waren, das Leben dieses jungen Mannes aus den Händen hätten geben müssen – in dem Augenblick hat die Hand Gottes ihn berührt: „Ich befehle dir, junger Mann: Steh auf!“ Wie die Geschichte weiter geht, wissen wir – oder können es erahnen!

Und bei uns – in unserem eigenen Leben? Keiner von uns wird wohl schon einmal leibhaftig die Erfahrung gemacht haben, dass in dem Augenblick, wo der Tod so groß und übermächtig scheint, sich die Hand Gottes ausstreckt und jemand sagt: „Ich befehle dir: Steh auf!“

Wenn wir dabei nur an den „großen“ Tod am Ende eines Lebens denken, dann mag das wohl stimmen – doch: wie viele „kleine“ Tode müssen wir denn in unserem Leben sterben? Und sind diese vielen kleinen Tode – zum Beispiel Abschiede von lieben Menschen, die uns aus familiären oder beruflichen Gründen verlassen müssen; Kinder, die sich ihren eigenen Lebensraum suchen wollen und von zu Hause weggehen; persönliche und berufliche Misserfolge, die uns niederdrücken … – sind diese kleinen Tode nicht oftmals auch so, dass sie uns etwas aus der Hand schlagen, dass etwas in unserem Leben zu Ende geht, dass etwas in uns zerbricht, dass wir am Leben verzweifeln? Sind diese kleinen Tode wirklich weniger grausam, als der große Tod? Gilt hier nicht auch das Wort des Dichters „Der Tod ist groß“?

Ja, es gilt auch bei den vielen kleinen Toden, die wir im Laufe unseres Lebens sterben! Und wie oft – wenn wir uns gegenüber ehrlich sind – hat sich uns gerade in solchen Situationen der kleinen Tode eine Hand entgegengestreckt, hat nicht jemand zu uns gesagt: „Steh auf! Es wird weitergehen!“ Blieb der kleine Tod dann wirklich Sieger?

Ich glaube, dass in den Augenblicken unserer größten Ohnmacht – in den Augenblicken, da der Tod – sei es der kleine, alltägliche, oder der große am Ende meines Lebens – so groß scheint, da er uns die Macht über unser Leben nimmt; in dem Augenblick, da uns das Leben aus den Händen gleitet – uns immer wieder die Hand Gottes berühren wird und jemand an unserer Seite ist, der sagt: „Steh auf! Es wird weitergehen!“ – Kein Grund also, am Leben zu verzweifeln!

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und einen guten Start in die kommende Woche!

Ihr Hubert Treske Don Bosco Forchheim