Uni­ver­si­tät Bay­reuth: „Poli­ti­sche Fehl­steue­run­gen als Haupt­ur­sa­che der Finanz­kri­se 2007 – 2009“

Symbolbild Bildung

In sei­ner kürz­lich ver­öf­fent­lich­ten Dok­tor­ar­beit warnt der Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­ler Dr. Ste­fan Häh­nel davor, glo­ba­le Finanz­kri­sen ein­sei­tig einem Ver­sa­gen der Märk­te oder dem unge­zü­gel­ten Gewinn­stre­ben ein­zel­ner Markt­teil­neh­mer anzu­la­sten. Die Rol­le insti­tu­tio­nel­ler Rah­men­be­din­gun­gen und deren Aus­ge­stal­tung sei­tens der poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger wer­de bis heu­te unterschätzt.

Was im Som­mer 2007 als Kri­se auf dem U.S.-amerikanischen Immo­bi­li­en­markt begann, wei­te­te sich in den Fol­ge­jah­ren zu einer glo­ba­len Finanz­kri­se aus. Was waren die Ursa­chen? Hät­te man die Ent­wick­lung vor­her­se­hen und ver­mei­den kön­nen? Wel­che Schluss­fol­ge­run­gen las­sen sich aus der Finanz­kri­se zie­hen? Mit die­sen Fra­gen befasst sich der Bay­reu­ther Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler Dr. Ste­fan Häh­nel in sei­ner jetzt als Buch erschie­ne­nen Dis­ser­ta­ti­on. Dar­in wider­spricht er zahl­rei­chen Erklä­rungs­an­sät­zen, die bis heu­te nicht nur in den Medi­en, son­dern auch in poli­ti­schen und wis­sen­schaft­li­chen Dis­kus­sio­nen prä­sent sind. Sei­ne Ana­ly­sen füh­ren zu dem Ergeb­nis: Die Finanz­kri­se der Jah­re 2007 bis 2009 war das unbe­ab­sich­tig­te Ergeb­nis insti­tu­tio­nel­ler Rah­men­be­din­gun­gen, die von den poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen unan­ge­mes­sen aus­ge­stal­tet wor­den sind.

Poli­ti­sche Fehl­steue­run­gen als Krisenherd

„Nicht außer Kon­trol­le gera­te­ne Märk­te oder die hem­mungs­lo­se Gier von Bank­ma­na­gern, son­dern vor allem poli­ti­sche Fehl­steue­run­gen haben an vie­len Stel­len die Kri­se befeu­ert und eska­lie­ren las­sen“, erklärt der Bay­reu­ther Öko­nom. So habe die Poli­tik den pri­va­ten Eigen­heim- und Woh­nungs­bau sowie die Kre­dit­ver­ga­be an Bevöl­ke­rungs­grup­pen mit gerin­gen Ein­kom­men in einer Wei­se geför­dert, die eine leicht­fer­ti­ge Ver­ga­be und Auf­nah­me von Kre­di­ten begün­stigt habe. Dr. Ste­fan Häh­nel nennt als Bei­spiel den „Com­mu­ni­ty Reinvest­ment Act“ in den USA. Die­ses Geset­zes­pa­ket sei ein poli­tisch moti­vier­ter Ein­griff in die Geschäfts­ak­ti­vi­tä­ten der Ban­ken gewe­sen und habe poli­ti­sche Zie­le den öko­no­mi­schen Not­wen­dig­kei­ten, wie etwa einer Boni­täts­prü­fung der Kun­den, über­ge­ord­net. Als wei­te­res Bei­spiel für poli­ti­sche Fehl­steue­run­gen führt er die Eta­blie­rung eines Sekun­där­mark­tes an, der es ermög­licht hat, Hypo­the­ken an Drit­te wei­ter­zu­ver­kau­fen. Ins­be­son­de­re von ver­brief­ten Hypo­the­ken­kre­di­ten ver­sprach man sich eine ver­bes­ser­te Refi­nan­zie­rung der Ban­ken. Die­se spä­ter als toxi­sche Wert­pa­pie­re bezeich­ne­ten sog. Asset Backed Secu­ri­ties stell­ten den ent­schei­den­den „Ansteckungs­ka­nal“ dar, der dazu führ­te, dass aus der US-ame­ri­ka­ni­schen Immo­bi­li­en­kri­se eine welt­wei­te Ban­ken- und Finanz­markt­kri­se wer­den konnte.

„Wenn man sich die­se Fehl­steue­run­gen vor Augen führt, wird im Rück­blick deut­lich, wie ober­fläch­lich die bis­he­ri­ge Dis­kus­si­on über die Ursa­chen der Finanz­kri­se ver­lau­fen ist“, meint Dr. Ste­fan Häh­nel. „Die Medi­en haben fast über­ein­stim­mend eine all­zu expan­si­ve Geld­po­li­tik der Noten­ban­ken kri­ti­siert. Sie haben die Domi­nanz neo­li­be­ra­ler Kon­zep­te beklagt und die Kri­se auf glo­ba­le Ungleich­ge­wich­te und ande­re makro­öko­no­mi­sche Ent­wick­lun­gen zurück­ge­führt. Doch mit sol­chen abstrak­ten Erklä­rungs­an­sät­zen las­sen sich die Ursa­chen der Finanz­kri­se nicht über­zeu­gend erklären.“

Plä­doy­er für eine „dif­fe­ren­zier­te Regulierung“

Es sind die all­zu schlag­wort­ar­tig geführ­ten und mit Vor­ur­tei­len bela­ste­ten Debat­ten, die nach Auf­fas­sung des Bay­reu­ther Öko­no­men über­zo­ge­ne Hand­lungs­emp­feh­lun­gen an den Staat aus­ge­löst haben. For­de­run­gen nach einer umfas­sen­den gesetz­li­chen Kon­trol­le des Finanz­sek­tors gin­gen oft­mals viel zu weit. Regu­lie­run­gen, die sich sogar auf intak­te Märk­te und bewähr­te Insti­tu­tio­nen erstrecken, ent­hiel­ten oft schon den Keim für neue kri­sen­haf­te Entwicklungen.

Dr. Ste­fan Häh­nel plä­diert des­halb für eine „dif­fe­ren­zier­te Regu­lie­rung“. Deren Aus­gangs­punkt müs­se eine sorg­fäl­ti­ge Ana­ly­se der Fak­to­ren sein, die unzwei­fel­haft zur Kri­se bei­getra­gen haben. Erst auf die­ser Grund­la­ge soll­ten Regu­lie­rungs­maß­nah­men beschlos­sen und umge­setzt wer­den. Die­se Maß­nah­men sei­en strikt auf Finanz­in­sti­tu­tio­nen zu beschrän­ken, die sich ein­deu­tig als Stör­fak­to­ren und als Trei­ber einer kri­sen­haf­ten Eska­la­ti­on erwie­sen hät­ten. Zudem müss­ten staat­li­che Kon­troll­me­cha­nis­men viel genau­er, als dies bis­her gesche­hen sei, auf die Grö­ße von Finanz­in­sti­tu­ten, auf natio­na­le und regio­na­le Beson­der­hei­ten sowie auf die Eigen­ar­ten der jewei­li­gen Finanz­märk­te zuge­schnit­ten wer­den. „Wer die Ursa­chen bekämp­fen will, die 2007 zum Aus­bruch einer welt­wei­ten Wirt­schafts­kri­se geführt haben, soll­te sich in erster Linie den staat­lich gesetz­ten Rah­men­be­din­gun­gen und dem Han­deln der poli­tisch Ver­ant­wort­li­chen zuwen­den. Die Kri­se ein­sei­tig und pau­schal mit einem Ver­sa­gen der Markt­wirt­schaft zu erklä­ren und dar­aus die Not­wen­dig­keit eines öko­no­mi­schen System­wech­sels ablei­ten zu wol­len, ist nach­weis­lich ver­fehlt“, resü­miert der Bay­reu­ther Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler, der mit sei­nen jetzt ver­öf­fent­lich­ten Unter­su­chun­gen das Ver­trau­en in die Sozia­le Markt­wirt­schaft stär­ken will.

Weil die Finanz­kri­se häu­fig als Ergeb­nis eines Markt­ver­sa­gens auf­ge­fasst wer­de, erwar­te die Öffent­lich­keit vom Staat, dass er tie­fer in das Wirt­schafts­ge­sche­hen ein­grei­fen sol­le. Dabei wer­de aber über­se­hen, dass poli­tisch moti­vier­te Inter­ven­tio­nen oft­mals den Boden für künf­ti­ge Funk­ti­ons­stö­run­gen der Märk­te berei­ten, statt ihnen – wie beab­sich­tigt – vor­zu­beu­gen. „Es ent­behrt des­halb nicht einer gewis­sen Iro­nie, wenn staat­li­che Ein­grif­fe in das Markt­ge­sche­hen häu­fig die Grund­la­ge für spä­te­re Kri­sen bil­den, die Bür­ger nach der Kri­se aber pau­schal und ohne Kennt­nis der zugrun­de lie­gen­den Pro­ble­me stär­ke­re Ein­grif­fe des Staa­tes for­dern“, so der Bay­reu­ther Ökonom.

Früh­warn­sy­ste­me: ein rea­li­sti­sches Ziel?

Hät­te sich die Finanz­kri­se der Jah­re 2007 bis 2009 über­haupt vor­her­se­hen und abwen­den las­sen? Auf­grund sei­ner Ana­ly­sen warnt Dr. Ste­fan Häh­nel davor, die Pro­gno­se­mög­lich­kei­ten zu über­schät­zen. Ein welt­wei­tes Früh­warn­sy­stem, das Kri­sen bereits im Ent­ste­hungs­sta­di­um erken­nen und der Poli­tik wirk­sa­me Gegen­mit­tel emp­feh­len kön­ne, wer­de sich kaum rea­li­sie­ren las­sen. Auch die Wirk­sam­keit der Instru­men­te, die in den Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten heu­te unter dem Begriff der „makro­pru­den­zi­el­len Auf­sicht“ zusam­men­ge­fasst wer­den, beur­teilt er zurück­hal­tend. „Selbst wenn es gelingt, die System­re­le­vanz ein­zel­ner Ban­ken zu sen­ken, bedeu­tet dies kei­nes­wegs, dass die Finanz­märk­te dadurch bereits kri­sen­fest sind. Dies gilt eben­so für die ver­brei­te­te For­de­rung, klas­si­sche Geschäfts­be­rei­che der Ban­ken – vom Invest­ment­ban­king bis hin zu den Dienst­lei­stun­gen für ‚Klein­spa­rer‘ – von­ein­an­der abzu­tren­nen und auf sepa­ra­te Bank­in­sti­tu­te zu ver­tei­len“, meint der Bay­reu­ther Wirt­schafts­wis­sen­schaft­ler. Auch in einem Trenn­ban­ken­sy­stem wären die­se bei­den Seg­men­te nach wie vor über den Inter­ban­ken­markt mit­ein­an­der ver­bun­den und könn­ten sich gegen­sei­tig Liqui­di­tät entziehen.

Ver­öf­fent­li­chung:

Ste­fan Häh­nel, Die Finanz­kri­se 2007–2009: die Kri­se als nicht inten­dier­tes Resul­tat unan­ge­mes­se­ner insti­tu­tio­nel­ler Rah­men­be­din­gun­gen. Bay­reuth, 2016 (NMP, Aktu­el­le Fra­gen der Wirt­schafts­po­li­tik; Band 3).