Uni­ver­si­tät Bay­reuth: „Trans­at­lan­ti­scher Frei­han­del als Wachstumsmotor“

Symbolbild Bildung
Dr. Benedikt Heid. Foto: Uni Bayreuth

Dr. Bene­dikt Heid. Foto: Uni Bayreuth

Bay­reu­ther For­scher unter­su­chen öko­no­mi­sche Fol­gen von TTIP

Dr. Bene­dikt Heid wur­de mit dem dies­jäh­ri­gen „CESi­fo Pri­ze in Glo­bal Eco­no­my – Distin­gu­is­hed CESi­fo Affi­lia­te“ aus­ge­zeich­net. CESi­fo ist eines der welt­weit größ­ten For­scher­netz­wer­ke auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften.

In den öffent­li­chen Debat­ten über das Frei­han­dels­ab­kom­men TTIP pral­len der­zeit Welt­sich­ten auf­ein­an­der. Umso mehr stellt sich die Fra­ge, wel­che Ein­schät­zun­gen sich mit Fak­ten und wis­sen­schaft­li­chen Ver­fah­ren begrün­den las­sen. Wirt­schafts­for­scher an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth kom­men zu dem Ergeb­nis, dass TTIP aus öko­no­mi­scher Sicht ein­deu­ti­ge Vor­tei­le für die Euro­päi­sche Uni­on und die USA bringt.

Das trans­at­lan­ti­sche Frei­han­dels­ab­kom­men zwi­schen der Euro­päi­schen Uni­on und den USA – kurz TTIP – ist wei­ter­hin Gegen­stand har­ter öffent­li­cher Kon­tro­ver­sen. Wem nützt und wem scha­det die geplan­te Libe­ra­li­sie­rung des trans­at­lan­ti­schen Han­dels? Die­se Fra­gen wer­den auch in den Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten leb­haft dis­ku­tiert. An der Uni­ver­si­tät Bay­reuth befas­sen sich Prof. Dr. Mario Larch und Dr. Bene­dikt Heid am Lehr­stuhl für Empi­ri­sche Wirt­schafts­for­schung schon seit meh­re­ren Jah­ren mit Struk­tu­ren und Aus­wir­kun­gen regio­na­ler Han­dels­ab­kom­men, dar­un­ter auch mit TTIP.

Ein­deu­ti­ge öko­no­mi­sche Vor­tei­le für Euro­pa und die USA

In ihren bis­he­ri­gen Stu­di­en, die sie in Koope­ra­ti­on mit dem ifo Insti­tut für Wirt­schafts­for­schung erar­bei­tet haben, zei­gen die Bay­reu­ther For­scher, dass TTIP sowohl für die Mit­glieds­län­der der EU als auch für die USA erheb­li­che öko­no­mi­sche Vor­tei­le hat. Lang­fri­stig wer­de das Pro-Kopf-Ein­kom­men inner­halb der EU durch­schnitt­lich um 3,9 Pro­zent stei­gen. Für die USA sei sogar ein Zuwachs des Pro-Kopf-Ein­kom­mens um 4,9 Pro­zent zu erwar­ten. Die­se Berech­nun­gen beru­hen auf der Vor­aus­set­zung, dass alle ande­ren öko­no­misch und poli­tisch rele­van­ten Fak­to­ren unver­än­dert blei­ben. Die natio­na­len Gren­zen zwi­schen den EU-Mit­glieds­län­dern stel­len immer noch gewis­se Han­dels­hemm­nis­se dar, so dass TTIP in den USA etwas höhe­re Wachs­tums­ef­fek­te als in Euro­pa erzeu­gen wird.

Wachs­tums­ef­fek­te inner­halb Europas

Inner­halb der EU las­sen sich deut­li­che Unter­schie­de fest­stel­len: Infol­ge der geplan­ten Frei­han­dels­zo­ne wür­de das Pro-Kopf-Ein­kom­men in Bel­gi­en um 2,3 Pro­zent, in Deutsch­land um 3,5 Pro­zent, in Spa­ni­en sogar um 5,6 Pro­zent stei­gen. Der­ar­ti­ge Abwei­chun­gen las­sen sich zu einem erheb­li­chen Teil damit erklä­ren, dass sich die natio­na­len Volks­wirt­schaf­ten der EU-Mit­glieds­län­der bereits unter­schied­lich stark für den Außen­han­del geöff­net haben. Klei­ne­re Län­der mit rela­tiv offe­nen Volks­wirt­schaf­ten, wie bei­spiels­wei­se die Nie­der­lan­de oder die Slo­wa­kei, pro­fi­tie­ren von TTIP weni­ger als Grie­chen­land, Spa­ni­en oder Ita­li­en. Denn die­se letz­te­ren Län­der müs­sen der­zeit höhe­re Kosten für den inter­na­tio­na­len Han­del auf­brin­gen, so dass sie ver­gleichs­wei­se stark von redu­zier­ten Han­dels­ko­sten in Bezug auf die USA pro­fi­tie­ren würden.

Ins­ge­samt, so haben die Bay­reu­ther Außen­han­dels­öko­no­men errech­net, gibt es kein EU-Land, in dem TTIP über­wie­gend öko­no­mi­sche Nach­tei­le hat. Es ver­hält sich die­sen Pro­gno­sen zufol­ge auch kei­nes­wegs so, dass die Län­der im Inne­ren der EU gene­rell stär­ker als die Län­der an den EU-Außen­gren­zen von TTIP pro­fi­tie­ren wür­den. Des­halb wären, falls TTIP rea­li­siert wird, aller Vor­aus­sicht nach kei­ne wirt­schafts­po­li­ti­schen Maß­nah­men erfor­der­lich, um öko­no­mi­sche Gleich­ge­wich­te inner­halb der EU nach­träg­lich wiederherzustellen.

Erheb­li­che Nach­tei­le für Drittländer?

Bezieht man die Län­der außer­halb der trans­at­lan­ti­schen Frei­han­dels­zo­ne in die Berech­nun­gen ein, sind die öko­no­mi­schen Fol­gen von TTIP nicht mehr unein­ge­schränkt posi­tiv ein­zu­schät­zen. Im Durch­schnitt wür­den die Län­der, die vom trans­at­lan­ti­schen Frei­han­del aus­ge­schlos­sen sind, rund 0,9 Pro­zent ihres Wohl­stands ver­lie­ren. Der haupt­säch­li­che Grund liegt dar­in, dass Han­dels­strö­me zwi­schen der EU und Dritt­län­dern sowie zwi­schen den USA und Dritt­län­dern ten­den­zi­ell schwä­cher wer­den, wäh­rend der trans­at­lan­ti­sche Aus­tausch von Waren und Dienst­lei­stun­gen steigt. Ande­rer­seits ist die Zahl der Dritt­län­der, die mit erheb­li­chen Wohl­stands­ein­bu­ßen zu rech­nen haben, rela­tiv klein. Die Bay­reu­ther For­scher kom­men zu dem Ergeb­nis, dass nur 8 Pro­zent aller Dritt­län­der mehr als 2,0 Pro­zent ihres Brut­to­in­lands­pro­dukts ver­lie­ren wür­den; bei 46 Pro­zent wür­den die­se Ver­lu­ste weni­ger als 1 Pro­zent betra­gen. Zudem gibt es eine Rei­he klei­ne­rer Staa­ten – dar­un­ter eini­ge Insel­staa­ten im Pazi­fik und klei­ne­re asia­ti­sche Län­der -, die einen wach­sen­den Wohl­stand zu erwar­ten haben, weil sowohl die EU als auch die USA den Han­del mit die­sen Län­dern aus­wei­ten würden.

Nebel ideo­lo­gi­scher Vor­ur­tei­le lichten

„Wie sich eine trans­at­lan­ti­sche Frei­han­dels­zo­ne letzt­lich auf Dritt­län­der aus­wir­ken wird, ist schwer vor­her­zu­sa­gen“, meint Prof. Mario Larch. „Die Effek­te hän­gen wesent­lich von der ver­trag­li­chen Aus­ge­stal­tung ab, und hier fällt auch das ‚Klein­ge­druck­te‘ ins Gewicht.“ Von beson­de­rer Bedeu­tung sei die Fra­ge, wel­che „Spill-over-Effek­te“ ent­ste­hen. Hier­bei han­delt es sich um die Aus­wir­kun­gen von TTIP auf die Han­dels­ko­sten, die von den­je­ni­gen Unter­neh­men zu tra­gen sind, die aus EU-Län­dern oder aus den USA in Dritt­län­der oder umge­kehrt aus Dritt­län­dern in TTIP-Mit­glieds­län­der expor­tie­ren. Je stär­ker die­se Han­dels­ko­sten infol­ge der ver­trag­li­chen Aus­ge­stal­tung von TTIP sin­ken, desto eher las­sen sich nach­tei­li­ge Effek­te ins­be­son­de­re für Ent­wick­lungs- und Schwel­len­län­der abmil­dern. „Wir wer­den die Fort­schrit­te der Ver­hand­lun­gen zu TTIP wei­ter­hin beob­ach­ten und unse­re wis­sen­schaft­li­che Exper­ti­se auch in öffent­li­che Debat­ten ein­brin­gen“, so Prof. Mario Larch. „Dabei ist es uns beson­ders wich­tig, die jewei­li­gen metho­di­schen Vor­aus­set­zun­gen von Pro­gno­sen her­aus­zu­ar­bei­ten und den Nebel ideo­lo­gi­scher Vor­ur­tei­le mit wis­sen­schaft­li­cher Klar­heit zu lichten.“

Preis­ge­krön­te For­schung zum Frei­han­del in Lateinamerika

Über TTIP hin­aus wer­den von den Bay­reu­ther Wirt­schafts­for­schern auch Frei­han­dels­ab­kom­men in ande­ren Wirt­schafts­räu­men unter­sucht. Dr. Bene­dikt Heid hat sich mit der Han­dels­li­be­ra­li­sie­rung in Latein­ame­ri­ka befasst und ist mit Hil­fe eines von ihm ent­wickel­ten, auf die­se Regi­on zuge­schnit­te­nen Außen­han­dels­mo­dells zu dem Ergeb­nis gekom­men: Infol­ge von regio­na­len Han­dels­ab­kom­men ist die Wohl­fahrt in den Län­dern Latein­ame­ri­kas im Schnitt um rund 12 Pro­zent gestie­gen, die infor­mel­le Beschäf­ti­gung um rund 20 Pro­zent gesun­ken und die Arbeits­lo­sen­ra­te um rund 1,2 Pro­zent­punk­te gefal­len. Aller­dings arbei­ten in den Schwel­len- und Ent­wick­lungs­län­dern Latein­ame­ri­kas noch immer 30 bis 50 Pro­zent der Beschäf­tig­ten im infor­mel­len Sek­tor, der durch nied­ri­ge Löh­ne, gerin­ge Pro­duk­ti­vi­tät und das Feh­len einer sozia­len Absi­che­rung geprägt ist. Für sei­ne Unter­su­chun­gen wur­de Dr. Bene­dikt Heid mit dem dies­jäh­ri­gen „CESi­fo Pri­ze in Glo­bal Eco­no­my – Distin­gu­is­hed CESi­fo Affi­lia­te“ aus­ge­zeich­net. CESi­fo ist eines der welt­weit größ­ten For­scher­netz­wer­ke auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften.

Her­vor­ra­gen­de Plat­zie­run­gen im Handelsblatt-Ranking

Pro­fes­sor Dr. Mario Larch, der Inha­ber des Lehr­stuhls für Empi­ri­sche Wirt­schafts­for­schung an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, zählt im Ran­king des Han­dels­blatts auch in die­sem Jahr wie­der zu den for­schungs­stärk­sten Öko­no­men im deutsch­spra­chi­gen Raum. In der Kate­go­rie „For­scher unter 40“ belegt er den 6. Platz, und in der alters­un­ab­hän­gi­gen Kate­go­rie „Beste For­scher­lei­stung“ einen eben­so her­vor­ra­gen­den 21. Platz. Das Ran­king wird von der Kon­junk­tur­for­schungs­stel­le der ETH Zürich im Auf­trag des Han­dels­blatts sowie des Ver­eins für Social­po­li­tik erar­bei­tet. Dabei wer­den die Ver­öf­fent­li­chun­gen von rund 3600 deutsch­spra­chi­gen Öko­no­men in mehr als 1500 inter­na­tio­na­len Fach­zeit­schrif­ten ausgewertet.

Ana­ly­se zu TTIP:
Gabri­el Fel­ber­mayr, Bene­dikt Heid, Mario Larch, Erd­al Yal­cin, Macroe­co­no­mic poten­ti­als of trans­at­lan­tic free trade: a high reso­lu­ti­on per­spec­ti­ve for Euro­pe and the world, in: Eco­no­mic Poli­cy, (2015) 30 (83): 491–537. DOI: http://​dx​.doi​.org/​1​0​.​1​0​9​3​/​e​p​o​l​i​c​/​e​i​v​009

1 Antwort

  1. Ferenc sagt:

    Lei­der läßt der Bei­trag jeden Bezug zur aktu­el­len Kri­tik an den geplan­ten Frei­han­dels­ab­kom­men ver­mis­sen. Daher kann er sie natur­ge­mäß auch nicht entkräften.

    Die genann­ten Wachs­tums­zah­len, deren Zehn­tel­pro­zent­ge­nau­ig­keit mich doch sehr erstaunt, sagen abso­lut nichts dar­über aus, wem die erziel­ten Erträ­ge zu Gute kom­men, wer kon­kret davon pro­fi­tiert. Tra­gen sie, was anzu­neh­men ist, zur wei­te­ren Ver­mö­gens- und wirt­schaft­li­chen Macht­kon­zen­tra­ti­on bei oder ermög­li­chen sie breit gestreu­ten Wohlstand?

    Wie wird das Wachs­tum über­haupt defi­niert? Der­zeit fließt in sol­che Berech­nun­gen doch alles ein, was mit mone­tä­rem Umsatz zu tun hat. Ob die Aus­wir­kun­gen posi­tiv oder nega­tiv sind, spielt kei­ne Rol­le. Jeder schwe­re Ver­kehrs­un­fall, jede Umwelt­ka­ta­stro­phe stei­gert das Wachs­tum – ist doch ein erheb­li­cher Auf­wand für medi­zi­ni­sche Behand­lung, Repa­ra­tur und Sanie­rung erforderlich.

    Zur befürch­te­ten Aus­he­be­lung bestehen­der oder künf­ti­ger Geset­ze, die den Schutz sozia­ler Errun­gen­schaf­ten und öko­lo­gi­scher Güter sicher­stel­len sol­len, wird gleich­falls kein Wort verloren.

    Letzt­lich ist die Stu­die für die rele­van­ten Fra­ge­stel­lun­gen also wert­los. Dar­über täu­schen weder Namen noch Titel noch Aus­zeich­nun­gen hinweg.