Son­der­aus­stel­lung „Fürch­ten, Ban­gen, Hof­fen“ im Frän­ki­sche Schweiz-Muse­um Tüchersfeld

BAY­REUTH. Es sind die frü­hen Mor­gen­stun­den des 10. März 1933. An der Woh­nungs­tür des 43-jäh­ri­gen Oswald Merz klopft es. Drau­ßen steht in Beglei­tung eini­ger Poli­zei­be­am­ter ein alter Bekann­ter: Hans Schemm. Mit ihm ver­bin­det Oswald Merz die Zeit im Frei­korps Bay­reuth, einer para­mi­li­tä­ri­schen Ein­heit, in der vor allem ehe­ma­li­ge Sol­da­ten wie Ober­leut­nant Oswald Merz, aber auch der front­u­n­er­fah­re­ne Hans Schemm gemein­sam mit 600 ande­ren von April bis Juni 1919 mit der Waf­fe in der Hand die kom­mu­ni­sti­sche Räte­re­pu­blik in Nürn­berg und Mün­chen blu­tig nie­der­ge­schla­gen haben. Nun also ste­hen sie sich als unver­söhn­li­che Geg­ner gegenüber.

Nach der Macht­über­ga­be an die Natio­nal­so­zia­li­sten ist Hans Schemm, seit 1928 bereits NSDAP-Gau­lei­ter der Baye­ri­schen Ost­mark, wei­ter auf­ge­stie­gen. In der Stadt der Wag­ner-Fest­spie­le führt kein Weg an ihm vor­bei. Wäh­rend­des­sen hat Oswald Merz sich ab 1919 als über­zeug­ter Sozi­al­de­mo­krat in der Arbei­ter­be­we­gung enga­giert. Unter ande­rem im „Reichs­ban­ner Schwarz-Rot-Gold,“ das es sich zur Auf­ga­be gemacht hat­te, die Wei­ma­rer Repu­blik gegen ihre Fein­de von links und rechts zu ver­tei­di­gen. Der Lei­dens­weg des Päd­ago­gen, übri­gens ein Kol­le­ge Hans Schemms an der Leh­rer­bil­dungs­an­stalt Bay­reuth, führt zuerst ins Gefäng­nis St. Geor­gen sei­ner Hei­mat­stadt. Bis die poli­ti­schen Geg­ner in das erste Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger in Dach­au ein­ge­lie­fert wer­den kön­nen, wird es noch etwas dau­ern. Erst am 21. März 1933 wird auf Befehl des dama­li­gen Münch­ner Poli­zei­prä­si­den­ten und „Reichs­füh­rer SS“ Hein­rich Himm­ler der Ort des Ter­rors errichtet.

Für Oswald Merz ist es im April soweit. Hier wird er bis zum Sep­tem­ber des­sel­ben Jah­res inter­niert, schi­ka­niert, drang­sa­liert. Dama­li­ger Kom­man­dant ist übri­gens der aus Forch­heim stam­men­de Hil­mar Waecker­le, der nach nur weni­gen Mona­ten wegen eines Mord­er­mitt­lungs­ver­fah­rens abge­setzt wird. Als Oswald Merz aus der „Schutz­haft“ wie­der ent­las­sen wird, inzwi­schen ist es Sep­tem­ber 1933, da hat er sei­nen Beruf als Stu­di­en­rat an der Leh­rer­bil­dungs­an­stalt Bay­reuth, sein Ein­kom­men und einen Groß­teil sei­ner Pen­si­ons­an­sprü­che ver­lo­ren. Er zieht mit sei­ner Ehe­frau Emma und der Toch­ter Hil­de zu Ver­wand­ten nach Frank­furt am Main, wo er bis 1937 in gro­ßer Armut und von Zuwen­dun­gen Bay­reu­ther Freun­de lebt.

Eine Heim­kehr nach Bay­reuth zu eini­gen alten Genos­sen wird Oswald Merz zum Ver­häng­nis. Schon seit 1919 im sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Reichs­ban­ner Schwarz-Rot-Gold und bei ver­schie­de­nen Arbei­ter­ge­sangs­ver­ei­nen wie dem „Volks­chor“ als Diri­gent und Chor­lei­ter aktiv, will er dort die Reste der Sozi­al­de­mo­kra­ten, die im Unter­grund ein Schat­ten­da­sein fri­sten, ermu­ti­gen. Denn inzwi­schen ist die SPD ver­bo­ten, und eine Wei­ter­füh­rung der Par­tei­ar­beit wird als Straf­tat geahn­det. Der Pro­zess wegen Hoch­ver­rats bringt Oswald Merz acht­zehn Mona­te ins Gefäng­nis – wie­der St. Geor­gen Bay­reuth. Danach das glei­che Spiel. Wie­der „Schutz­haft“ im KZ Dach­au, dies­mal aber nicht nur weni­ge Mona­te, son­dern vie­le Jah­re – mit unge­wis­sem Ende.

Als er am 23. April 1945 in Augs­burg durch die US-Trup­pen befreit wird, hat er eine Odys­see hin­ter sich, die ihn für ein Jahr auch ins KZ Flos­sen­bürg führt. Nach einer Rück­kehr nach Dach­au wird er in die bei­den Außen­la­ger Lau­in­gen bei Dil­lin­gen und in den Augs­bur­ger Stadt­teil Pfer­see ver­legt. Hier wer­den die KZ-Häft­lin­ge ab April 1944 haupt­säch­lich für die Flug­zeug­pro­duk­ti­on der kriegs­wich­ti­gen Mes­ser­schmitt-Wer­ke ein­ge­setzt. Spä­ter, als die Luft­an­grif­fe auf die Rüstungs­in­du­strie zuneh­men und die Front näher rückt, geht es auch um die Besei­ti­gung der Bom­ben­schä­den und den Bau von Panzergräben.

Erst­mals ist nun die blau-weiß gestreif­te Beklei­dung des KZ-Häft­lings Oswald Merz in der der­zeit lau­fen­den Son­der­aus­stel­lung „Fürch­ten, Ban­gen, Hof­fen“ im Frän­ki­sche Schweiz-Muse­um Tüchers­feld zu sehen. „Sie ist nach über sieb­zig Jah­ren noch erstaun­lich gut erhal­ten,“ freut sich Muse­ums­di­rek­tor Rai­ner Hof­mann. „Viel­leicht liegt es dar­an, dass Oswald Merz wegen sei­ner Kennt­nis­se, er hat­te ja Deutsch unter­rich­tet, als Schreib­kraft des KZ-Kom­man­do­füh­rers Franz-Xaver Trenk­le in Lau­in­gen arbei­ten muss­te.“ Auf der lin­ken Brust der für den Som­mer gedach­ten Tex­ti­li­en aus Halb­lei­nen ist ein nach unten wei­sen­des rotes Drei­eck ange­bracht. „Die­ser Win­kel zeigt, dass es sich um einen poli­ti­schen Häft­ling han­delt.“ Dar­über ist nur schwach die Num­mer ein­ge­stick­te 414 zu lesen. Eine sehr nied­ri­ge Zif­fer, die dar­auf ver­weist, dass Oswald Merz einer der ersten KZ-Insas­sen war. Bis zum Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges wer­den die Zif­fern sechs­stel­lig gewor­den sein. Bei genaue­rer Betrach­tung zeigt sich, dass auch die Innen­sei­te gestreift ist. „Damit wird die Flucht erschwert, denn man kann den Stoff nicht ein­fach gewen­det tragen.“

Die Qua­len und Stra­pa­zen der Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger hat Oswald Merz nicht lan­ge über­lebt. Am 18. Mai 1946 stirbt er in Augs­burg – mit gera­de ein­mal 57 Jah­ren. Sei­ne neue Stel­le als Lei­ter der Leh­rer­bil­dungs­an­stalt Bay­reuth, aus der er einst ver­trie­ben wor­den war, konn­te er nicht mehr antreten.

UDO GÜLD­NER

Wer als Augen­zeu­ge oder aus Erzäh­lun­gen in der Fami­lie Anga­ben machen kann, wo in der Frän­ki­schen Schweiz über­all Men­schen aus poli­ti­schen, ras­si­schen oder reli­giö­sen Grün­den zwi­schen 1933 und 1945 ver­folgt wur­den, wer noch Unter­la­gen oder Fotos hat, die eben jene Ver­folg­ten zei­gen, wer nach dem Krieg noch per­sön­li­che Kon­tak­te zu ehe­ma­li­gen KZ-Insas­sen unter­hal­ten hat, der mel­de sich bit­te im Frän­ki­sche Schweiz-Muse­um Tüchers­feld unter Tel. 09242–1640 oder per E‑Mail: info@​fsmt.​de