Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Wie Zebra­fi­sche ampu­tier­te Flos­sen wiederherstellen

Symbolbild Bildung

Bay­reu­ther For­scher ent­decken Mecha­nis­men zur Neu­bil­dung von Knochengewebe

Das regenerierende Gewebe (Blastema) einer Zebrabärbling-Schwanzflosse nach einer Amputation. Copyright: Professur für Entwicklungsbiologie, Universität Bayreuth

Das rege­ne­rie­ren­de Gewe­be (Bla­ste­ma) einer Zebra­bärbling-Schwanz­flos­se nach einer Ampu­ta­ti­on.
Copy­right: Pro­fes­sur für Ent­wick­lungs­bio­lo­gie, Uni­ver­si­tät Bayreuth

Im Gegen­satz zum Men­schen sind Fische imstan­de, ampu­tier­te Kör­per­tei­le voll­stän­dig wie­der­her­zu­stel­len. Ein pro­mi­nen­tes Bei­spiel ist der Zebra­bärbling (Danio rerio), ein belieb­ter Aqua­ri­en­zier­fisch. Wenn sei­ne Schwanz­flos­sen durch Biss­wun­den ver­letzt oder im Labor ampu­tiert wer­den, kön­nen sie sich inner­halb von drei Wochen voll­stän­dig rege­ne­rie­ren. Zebra­bärblin­ge – auch Zebra­fi­sche genannt – bie­ten sich daher als Tier­mo­dell an, um die natür­li­che Rege­ne­ra­ti­on von Gewe­be auf zel­lu­lä­rer und mole­ku­la­rer Ebe­ne zu untersuchen.

Die Flos­sen der Zebra­fi­sche bestehen aus einer Flos­sen­haut, die durch ein Ske­lett aus Flos­sen­strah­len Sta­bi­li­tät bekommt; ähn­lich wie ein auf­ge­spann­ter Regen­schirm, der durch die metal­le­nen Kie­le Festig­keit erhält. Die Flos­sen­strah­len wer­den von kno­chen­bil­den­den Zel­len, den Oste­obla­sten, gebil­det. Damit eine ampu­tier­te Flos­se wie­der neu auf­ge­baut wer­den kann, muss in kur­zer Zeit eine gro­ße Anzahl neu­er Oste­obla­sten ent­ste­hen. Oste­obla­sten aus der Wund­re­gi­on müs­sen daher die Bil­dung von Kno­chen­sub­stanz zunächst auf­ge­ben und sich „ver­jün­gen“ – oder genau­er gesagt: durch „De-Dif­fe­ren­zie­rung“ in ein frü­he­res Ent­wick­lungs­sta­di­um zurück­fal­len. Aus spe­zia­li­sier­ten, rei­fen Zel­len wer­den tei­lungs­fä­hi­ge Knochenvorläuferzellen.

Bis­her war nur wenig dar­über bekannt, wie die De-Dif­fe­ren­zie­rung und die erneu­te Kno­chen­bil­dung regu­liert wird. Und auch wie es dem Zebra­fisch gelingt, dass das Ske­lett der rege­ne­rier­ten Flos­se wie­der genau­so aus­sieht wie das der ursprüng­li­chen Flos­se, war unklar. Prof. Dr. Ger­rit Bege­mann, Pro­fes­sor für Ent­wick­lungs­bio­lo­gie an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth, und sei­ner Dok­to­ran­din Nico­la Blum ist es jetzt gelun­gen, wich­ti­ge Aspek­te die­ser Pro­zes­se auf­zu­klä­ren. In der Online-Aus­ga­be des renom­mier­ten Fach­ma­ga­zins „Deve­lo­p­ment“ haben sie dazu zwei Stu­di­en ver­öf­fent­licht. Aus den neu­en Erkennt­nis­sen kön­nen Impul­se für bio­me­di­zi­ni­sche For­schungs­ar­bei­ten her­vor­ge­hen, die dar­auf abzie­len, das Gewe­be ver­letz­ter Kno­chen oder Orga­ne beim Men­schen wiederherzustellen.

Das Dilem­ma der Zel­len: Zwi­schen Ver­meh­rung und Spezialisierung

Für das nor­ma­le Wachs­tum der Kno­chen hat Retin­säu­re eine wich­ti­ge Funk­ti­on. Sie regen die Oste­obla­sten dazu an, Kno­chen­ma­te­ri­al abzu­schei­den und so ihre spe­zi­el­le Funk­ti­on als dif­fe­ren­zier­te Zel­len zu erfül­len. Damit die Oste­obla­sten die­se Funk­ti­on auf­ge­ben und sich wie­der zu tei­lungs­fä­hi­gen Kno­chen­vor­läu­fer­zel­len rück­ent­wickeln kön­nen, sind sie folg­lich auf eine Umge­bung ange­wie­sen, die von Retin­säu­re frei ist. Doch genau die­se Vor­aus­set­zung ist, wenn die Schwanz­flos­se ampu­tiert ist, nicht gege­ben. Denn das Gewe­be unter der Wun­de beginnt mit der mas­si­ven Pro­duk­ti­on von Retin­säu­re, um Pro­zes­se der Zell­tei­lung anzuregen.

Wie gelingt es den rei­fen Oste­obla­sten, die­sem Dilem­ma zu ent­kom­men? Die Ant­wort hat Nico­la Blum im Labor von Prof. Ger­rit Bege­mann ent­deckt: Nach der Ver­let­zung der Flos­se pro­du­zie­ren die Oste­obla­sten vor­über­ge­hend das Enzym Cyp26b1, das Retin­säu­re abbaut und inak­ti­viert. Unter dem Schutz die­ses Enzyms kann die Ent­wick­lungs­uhr zurück­ge­dreht wer­den. Die tei­lungs­fä­hi­gen Kno­chen­vor­läu­fer­zel­len wan­dern in einen Pool von Vor­läu­fer­zel­len, das Bla­ste­ma, ein. In die­sem Gewe­be ver­meh­ren sich die Vor­läu­fer­zel­len und bil­den neue Zel­len für den Wie­der­auf­bau der Flos­se. In der Fol­ge ent­steht ein wei­te­res Dilem­ma, wie das Bay­reu­ther For­schungs­team her­aus­ge­fun­den hat: Die Zell­tei­lun­gen wer­den durch eine hohe Kon­zen­tra­ti­on von Retin­säu­re unter­stützt. Doch die Rück­ver­wand­lung in rei­fe spe­zia­li­sier­te Zel­len wird, wie schon zuvor die „De-Dif­fe­ren­zie­rung“, durch Retin­säu­re blockiert.

Nico­la Blum hat her­aus­ge­fun­den, wie die­ses Dilem­ma inner­halb des Bla­ste­mas gelöst wird. In den­je­ni­gen Berei­chen des Bla­ste­mas, in denen neue Oste­obla­sten wie­der mit dem Auf­bau des Ske­letts begin­nen, pro­du­zie­ren Bin­de­ge­webs­zel­len den Retin­säu­re­kil­ler Cyp26b1. Dadurch sinkt die Men­ge an Retin­säu­re, und Kno­chen­vor­läu­fer­zel­len sind in der Lage, erneut zu Oste­obla­sten zu rei­fen. Nur in dem­je­ni­gen Bereich des Bla­ste­mas, der durch Zell­tei­lung für Zell­nach­schub sorgt, bleibt die Kon­zen­tra­ti­on an Retin­säu­re hoch. „So ist inner­halb des Bla­ste­mas für ein ele­gan­tes Gleich­ge­wicht zwi­schen unter­schied­li­chen Regio­nen gesorgt, auf die sich die bei­den Pro­zes­se der Ver­meh­rung und der Re-Dif­fe­ren­zie­rung von Zel­len ver­tei­len“, erklärt Begemann.

Ein „Navi­ga­ti­ons­sy­stem“ für den Wie­der­auf­bau des Skeletts

Wie wird die Form des Kno­chen­ske­letts wie­der­her­ge­stellt, sobald sich aus­rei­chend vie­le Oste­obla­sten neu gebil­det haben? Für den kor­rek­ten Wie­der­auf­bau der Kno­chen ist es erfor­der­lich, dass sich die frisch rege­ne­rier­ten Oste­obla­sten an den rich­ti­gen Stel­len anla­gern, näm­lich exakt in der Ver­län­ge­rung der noch vor­han­de­nen Kno­chen­strah­len. Genau hier müs­sen sie neu­es Kno­chen­ma­te­ri­al pro­du­zie­ren. Der Mecha­nis­mus, der die­ses Ver­hal­ten der Oste­obla­sten gewähr­lei­stet, war bis­her unbe­kannt. In einer wei­te­ren, eben­falls in „Deve­lo­p­ment“ ver­öf­fent­lich­ten Stu­die konn­te er von Nico­la Blum auf­ge­klärt werden.

Damit die Oste­obla­sten „wis­sen“, wo sie sich anla­gern müs­sen, wird in der Flos­sen­ober­haut – auch Epi­der­mis genannt – das Signal­pro­te­in Sonic Hedge­hog pro­du­ziert und aus­ge­sen­det. Die Zel­len der Epi­der­mis kön­nen die­ses Pro­te­in aller­dings nur dann her­stel­len, wenn sie frei sind von Retin­säu­re. Dies wird genau dort, wo Flos­sen­strah­len ent­ste­hen, durch das Enzym Cyp26a1 sicher­ge­stellt, das mit Cyp26b1 ver­wandt ist. Wel­che ent­schei­den­de Lot­sen­funk­ti­on Sonic Hedge­hog für die Oste­obla­sten über­nimmt, konn­te die Bay­reu­ther Dok­to­ran­din zei­gen, indem sie die Kon­zen­tra­ti­on von Retin­säu­re der­art mani­pu­lier­te, dass das Signal­pro­te­in vom gesam­ten rege­ne­rie­ren­den Gewe­be aus­ge­sen­det wur­de. Die Fol­gen waren dra­ma­tisch: Statt sich gezielt nur an der Ver­län­ge­rung bestehen­der Flos­sen­strah­len anzu­la­gern, wan­der­ten die Oste­obla­sten auch in Berei­che zwi­schen den Strah­len ein, die nor­ma­ler­wei­se nur aus ela­sti­scher Flos­sen­haut besteht. Es bil­de­ten sich Kno­chen­zel­len an völ­lig ver­kehr­ten Stel­len, so dass im Ergeb­nis auch der Wie­der­auf­bau der Ske­lett­struk­tur scheiterte.

Zugleich stell­te sich in den Expe­ri­men­ten her­aus, dass Oste­obla­sten ihrer­seits Lot­sen­funk­tio­nen für ande­re Zell­ty­pen – ins­be­son­de­re für Bin­de­ge­we­be- und Blut­ge­fäß­zel­len – haben. Auch die­se Zel­len müs­sen sich in unmit­tel­ba­rer Nähe der Flos­sen­strah­len ansie­deln. Sie tun dies, indem sie sich an den Oste­obla­sten ori­en­tie­ren. Wenn Kno­chen­vor­läu­fer­zel­len fal­sche Wege ein­schla­gen, fol­gen ihnen die Bin­de­ge­we­be- und Blut­ge­fäß­zel­len – ein wei­te­rer Grund, wes­halb die Rege­ne­ra­ti­on der Ske­lett­struk­tur fehlschlägt.

„Die Neu­bil­dung des Ske­letts beruht offen­sicht­lich auf einem ‚Navi­ga­ti­ons­sy­stem‘, das sich aus einer Ket­te von Lot­sen­funk­tio­nen auf­baut“, fasst Bege­mann die neu­en Erkennt­nis­se zusam­men. „Am Beginn steht der räum­lich begrenz­te Abbau der Retin­säu­re. Dadurch wird die Pro­duk­ti­on eines Signal­pro­te­ins ermög­licht, das die kno­chen­bil­den­den Zel­len genau dort­hin führt, wo sie benö­tigt wer­den. Die Oste­obla­sten ihrer­seits lot­sen Bin­de­ge­we­be- und Blut­ge­fäß­zel­len an die rich­ti­gen Stel­len und koor­di­nie­ren so die natür­li­che Rege­ne­ra­ti­on der Flosse.“

Ver­öf­fent­li­chun­gen:

Oste­oblast de- and redif­fe­ren­tia­ti­on is con­trol­led by a dyna­mic respon­se to reti­noic acid during zebra­fi­sh fin rege­ne­ra­ti­on. Deve­lo­p­ment 2015, Vol 142 / Issue 17; posted ahead of print August 7, 2015, doi: 10.1242/dev.120204

Reti­noic acid signal­ing spa­ti­al­ly rest­ricts oste­oblasts and con­trols ray-inter­ray orga­nizati­on during zebra­fi­sh fin rege­ne­ra­ti­on. Deve­lo­p­ment 2015, Vol 142 / Issue 17; posted ahead of print August 7, 2015, doi: 10.1242/dev.120212