Arti­kel­se­rie “Ener­gie­wen­de – muss das sein?”: 27. Sicher­heit und Risi­ko – Das Rest­ri­si­ko der Atomkraftwerke

Foto: Uberprutser, CC-BY-SA-3.0-nl

Foto: Uberp­rut­ser, CC-BY-SA‑3.0‑nl

Wen­den wir die Risi­ko­be­ur­tei­lung der DIN EN ISO 12100 auf die Unfall­ka­te­go­rie 7 bei Kern­kraft­wer­ken an, dann ist die welt­wei­te Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit eines SuperGAU’s die, je nach Metho­de und Rechen­an­satz ermit­tel­te, MTBF zwi­schen 10 und 25 Jah­ren. Als Scha­dens­hö­he kön­nen wir die Scha­dens­be­schrei­bung der Unfall­ka­te­go­rie 7 (s.a. Kapi­tel 24) nehmen:

Die Aus­wir­kun­gen sind die kom­plet­te Zer­stö­rung der Anla­ge, schwer­ste Frei­set­zung von Radio­ak­ti­vi­tät, Aus­wir­kun­gen auf Gesund­heit und Umwelt in einem wei­ten Umfeld, gesund­heit­li­che Spät­schä­den über gro­ße Gebie­te, ggf. in mehr als einem Land.

Die Erfah­run­gen bestä­ti­gen, dass dies rea­li­stisch ist. Nach Tscher­no­byl war eine erhöh­te, die zuläs­si­gen Grenz­wer­te über­schrei­ten­de Strah­len­be­la­stung, bis weit nach Nord-Skan­di­na­vi­en fest­stell­bar. Auch Deutsch­land, spe­zi­ell Süd­bay­ern, war betrof­fen. Bestimm­te Wald­pro­duk­te, vor allem Pil­ze, Bee­ren und Wild sind in ein­zel­nen Regio­nen immer noch unzu­läs­sig hoch bela­stet. Auf einer inter­ak­ti­ven Kar­te des Umwelt­in­sti­tuts Mün­chen kann man sich das im Detail anse­hen. Die Zusam­men­hän­ge erklärt eine wei­te­re Sei­te die­ses Insti­tu­tes: http://www.umweltinstitut.org/fileadmin/Mediapool/Druckprodukte/Radioaktivit%C3%A4t/PDF/umweltinstitut_pilze_und_wild.pdf.

Ist die­se Gesamt­si­tua­ti­on noch ein „klei­nes Rest­ri­si­ko“ das akzep­ta­bel ist? Falls nicht, wel­che Mög­lich­kei­ten der Risi­ko­min­de­rung haben wir? Da das Risi­ko aus den zwei Kom­po­nen­ten – Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit und Scha­dens­hö­he – besteht, haben wir auch zwei Ansatz­punk­te für eine Risikominderung:

  1. Eine Scha­dens­be­gren­zung: Bis­her sind kei­ne Metho­den bekannt oder gar erprobt, um bei einer Kern­schmel­ze den Scha­den zu begren­zen. Die Ener­gien, die hier­bei frei­ge­setzt wer­den sind ein­fach zu groß und nicht mehr beherrsch­bar. Hin­zu kommt bei bestimm­ten Kern­kraft­werks­ty­pen, dass sich bei der Ent­wick­lung eines SuperGAU‘s auch Was­ser­stoff in grö­ße­ren Men­gen bil­det. Das führt letzt­lich, wie in Fuku­shi­ma, zu einer hef­ti­gen Knall­gas-Explo­si­on, einem Ver­stär­kungs­fak­tor zur Frei­set­zung radio­ak­ti­ver Stof­fe in die Atmosphäre.
    Tat­sa­che ist, dass kei­nes der z.Z. in Betrieb oder im Bau/​Planung befind­li­chen Kern­kraft­wer­ke einer Kern­schmel­ze stand­hal­ten wür­de. Es gibt zwar eini­ge Denk­mo­del­le (core-cat­cher) sowie eine Aus­füh­rung an zwei chi­ne­si­schen Reak­to­ren, aber kei­nes die­ser Model­le ist prak­tisch erprobt. Eine prak­ti­sche Erpro­bung ver­bie­tet sich auch, weil der Scha­den bei einem fehl­ge­schla­ge­nen Test nicht zu ver­ant­wor­ten ist. Auch ist eine Nach­rü­stung bestehen­der Kern­kraft­wer­ke nicht mög­lich, sodass sich an dem bestehen­den Risi­ko nichts ver­bes­sern würde.
  2. Wei­te­re Redu­zie­rung der Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit: Ein sol­cher Unfall ist kein Blitz aus hei­te­rem Him­mel. Es kom­men immer meh­re­re Ursa­chen zusam­men. Der Unfall bahnt sich lang­sam, aber zunächst uner­kannt an. Man kann sicher davon aus­ge­hen, dass tech­nisch alle Mög­lich­kei­ten aus­ge­schöpft wur­den, um einen Unfall­her­gang mög­lichst auf die Stu­fen 4 bis 6 zu begren­zen, obwohl die Schä­den hier auch erheb­lich sein kön­nen. Dies betrifft jeden­falls das „tech­ni­sche Ver­sa­gen“ als Unfall­ur­sa­che. Das Bedie­nungs­per­so­nal steht jedoch fast unlös­ba­ren Auf­ga­ben gegen­über. Auch wenn sie theo­re­tisch dafür aus­ge­bil­det, viel­leicht auch an Simu­la­to­ren trai­niert wur­den, es ist eine ande­re Situa­ti­on, wenn ein solch dra­ma­ti­sches Unfall­ge­sche­hen real erkannt wird, u.U. mit man­gel­haf­ten Infor­ma­tio­nen. In Fuku­shi­ma führ­te eine feh­ler­haf­te Anzei­ge dazu, dass vom Per­so­nal eine bestimm­te Not­maß­nah­me, die viel­leicht das Schlimm­ste hät­te ver­hü­ten kön­nen, nicht ein­ge­lei­tet wurde.

Wie schon in Kapi­tel 26 fest­ge­stellt: Der größ­te Unsi­cher­heits­fak­tor in der Unfall­prä­ven­ti­on ist der Mensch. Dies gilt auch in den Berei­chen die als sehr sicher gel­ten. Natür­lich gibt es auch Unfall­ge­sche­hen, wo ein Mensch plan­voll ein­greift und das Schlimm­ste ver­hin­dert, z.B. die Not­lan­dung eines Ver­kehrs­flug­zeu­ges auf dem Hud­son River nach einem tota­len Trieb­werks­aus­fall durch Vogel­schlag (höhe­re Gewalt). Aber es gibt mehr Unfäl­le durch mensch­li­ches Ver­sa­gen. Und auch ein in selbst­mör­de­ri­scher Absicht ver­ur­sach­te Unfall wie bei der Ger­man­wings ist zwar sehr sel­ten, aber kein Ein­zel­fall. Ein geflü­gel­tes Wort bei Unfall­ex­per­ten bringt dies alles zum Ausdruck:

Unfäl­le pas­sie­ren nicht, Unfäl­le wer­den verursacht.

Was gibt uns eigent­lich die Sicher­heit, dass dies nicht auch in ande­ren gro­ßen tech­ni­sche Syste­men pas­siert, bzw. was tun wir dage­gen? Es gibt prak­tisch nur eine rea­li­sti­sche Mög­lich­keit: sol­che Syste­me so auf­zu­bau­en, dass Scha­dens­fol­gen bei einem Unfall, und damit das Rest­ri­si­ko, so weit wie mög­lich begrenzt werden.

Aber was bleibt, wenn alle tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten zur Scha­dens­be­gren­zung, Per­so­nal­aus­wahl und Schu­lung aus­ge­schöpft sind um die Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit wei­ter zu redu­zie­ren, d.h. die MTBF zu ver­grö­ßern? Nur die Ver­rin­ge­rung der mög­li­chen Stör­quel­len, also der Kern­kraft­wer­ke! Wie weit muss eine Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit redu­ziert wer­den, damit ein Rest­ri­si­ko mit einem Scha­den der sich erheb­lich über alle Berei­che wie Sach­schä­den, Per­so­nen­schä­den, Umwelt­schä­den und Spät­fol­gen erstreckt, als klein akzep­tiert wird?

Unter die­sen Aspek­ten wird die Ent­schei­dung der Bun­des­re­pu­blik aus der Kern­ener­gie aus­zu­stei­gen ver­ständ­lich. Sie war von Anfang an wohl durch­dacht und rich­tig. Ledig­lich das Inter­mez­zo des Aus­stiegs vom Aus­stieg war inkonsequent.

Wis­sens­wer­tes zum Thema

In der näch­sten Fol­ge betrach­ten wir eine wei­te­re Kom­po­nen­te unter dem Sicher­heit – Risi­ko – Aspekt: gro­ße Stromnetze.

Die­ter Lenzkes
Bürger-für-Bürger-Energie
www​.bfb​-ener​gie​.de

Hin­ter­grund zu die­ser Serie

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