Arti­kel­se­rie “Ener­gie­wen­de – muss das sein?”: 24. Sicher­heit und Risi­ko – Atomkraftwerke

Foto: Uberprutser, CC-BY-SA-3.0-nl

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Atom­kraft­wer­ke sind sicher! So wird es von Atom­kraft­be­für­wor­tern immer wie­der in die Dis­kus­si­on gewor­fen. In gewis­sem Sin­ne ist das auch rich­tig. Es gibt kaum einen tech­ni­schen Bereich, bei dem so viel in die Sicher­heit inve­stiert wird wie in die Berei­che Schie­nen­ver­kehr und Luft­fahrt (in Deutsch­land) sowie inter­na­tio­nal in die Berei­che Raum­fahrt und Atom­kraft­wer­ke. Trotz­dem pas­sie­ren in all die­sen Berei­chen Unfäl­le! Warum?

Dis­kus­sio­nen über die Sicher­heit von Kern­kraft­wer­ken enden meist mit der Fest­stel­lung: Eine abso­lu­te Sicher­heit gibt es nicht, ein klei­nes Rest­ri­si­ko bleibt immer. Was ist eigent­lich Sicher­heit und Risi­ko? Kann man die­se bewerten?
Details über das tech­ni­sche Sicher­heits­kon­zept für Kern­kraft­wer­ke sie­he hier.

Stö­run­gen und Unfäl­le in kern­tech­ni­schen Anla­gen sind inter­na­tio­nal mel­de­pflich­tig. Dies ist wegen der even­tu­el­len über­re­gio­na­len Gefähr­dungs­si­tua­ti­on erfor­der­lich und soll­te auch so schnell wie mög­lich erfol­gen. Sie wer­den in 8 Stu­fen der Inter­na­tio­na­len Bewer­tungs­ska­la für nuklea­re Ereig­nis­se (INRS) klas­si­fi­ziert. Die 4 Stu­fen 0 bis 3 gel­ten als „Stör­fäl­le“. Hier­zu gehö­ren auch sol­che Stö­run­gen, die in jedem ande­ren Kraft­werk auch pas­sie­ren kön­nen (z.B. ein Trans­for­ma­tor­brand), die aber im Fall von Kern­kraft­wer­ken von den Medi­en ger­ne hoch­ge­spielt wer­den. In der Stu­fe 3 – ern­ster Stör­fall – kommt es bereits zu schwe­rer Kon­ta­mi­na­ti­on und Gesund­heits­schä­den beim Per­so­nal und ein Teil der mehr­stu­fi­gen, gestaf­fel­ten Sicher­heits­vor­keh­run­gen ist aus­ge­fal­len. Für die Bevöl­ke­rung schäd­li­che Strah­lung ist aber noch nicht aus­ge­tre­ten. Die Stu­fen 4 bis 7 gel­ten als „Unfäl­le“. Es kommt zu Schä­den am Reak­tor­kern und schäd­li­che Strah­lung kann aus­tre­ten. Heu­te bezeich­net man die Stu­fen 4 bis 6 als GAU (Aus­le­gungs­stör­fall), die Stu­fe 7 – kata­stro­pha­ler Unfall – als Super­GAU, die sog. Kern­schmel­ze. Die Defi­ni­ti­on: „Die Aus­wir­kun­gen sind die kom­plet­te Zer­stö­rung der Anla­ge, schwer­ste Frei­set­zung von Radio­ak­ti­vi­tät, Aus­wir­kun­gen auf Gesund­heit und Umwelt in einem wei­ten Umfeld, gesund­heit­li­che Spät­schä­den über gro­ße Gebie­te, ggf. in mehr als einem Land“.

Nach der deut­schen Rechts­la­ge dürf­te somit ein Unfall der Stu­fe 7 gar nicht mög­lich sein. Denn seit 1994 gilt in Deutsch­land ein Gesetz, dass „… die Aus­wir­kun­gen einer mög­li­chen Kern­schmel­ze nicht über den Zaun des Reak­tor­be­triebs­ge­län­des hin­aus gehen dür­fen“ (so der Rechts­wis­sen­schaft­ler Prof. Dr. Alex­an­der Roß­na­gel in einem Inter­view). Eine tech­ni­sche Unmög­lich­keit, d.h., in Deutsch­land dürf­te nach die­ser Rechts­la­ge kein neu­es Kern­kraft­werk mehr geneh­migt wer­den. Aller­dings wur­den alle deut­schen Kern­kraft­wer­ke auch vor 1994 geneh­migt und die ande­ren euro­päi­schen Kern­kraft­wer­ke unter­lie­gen ohne­hin nicht deut­schem Recht.

Seit der kom­mer­zi­el­len Nut­zung der Kern­ener­gie in Kraft­wer­ken kam es seit 1957 zu 16 Unfäl­len; fünf der Kate­go­rie 4; sie­ben der Kate­go­rie 5 und vier der Kate­go­rie 7 – einem im Kern­kraft­werk in Tscher­no­byl und drei in den neben­ein­an­der lie­gen­den Kern­kraft­wer­ken in Fuku­shi­ma. Letz­te­re im sel­ben Zeit­raum durch die­sel­be Ursa­che, ein Erd­be­ben mit nach­fol­gen­dem Tsunami.
Dies sind nur die Unfäl­le in Kern­kraft­wer­ken, ohne die in son­sti­gen kern­tech­ni­schen Anla­gen, wie Ver­suchs­an­la­gen, bei der Brenn­ele­men­te-Her­stel­lung oder in Wie­der­auf­be­rei­tungs­an­la­gen. Eine kom­plet­te Liste von Unfäl­len in kern­tech­ni­schen Anla­gen mit Details ist im Inter­net veröffentlicht.

Wenn irgend­wo ein Unfall pas­siert, wird die Unfall­ur­sa­che rela­tiv schnell in einen der 3 gro­ßen Berei­che ein­ge­ord­net: tech­ni­sches Ver­sa­gen, mensch­li­ches Ver­sa­gen oder höhe­re Gewalt. Die Gren­zen zwi­schen die­sen Berei­chen sind aber flie­ßend, wie wir noch sehen wer­den. Tscher­no­byl war ein­deu­tig „mensch­li­ches Ver­sa­gen“, Fuku­shi­ma wur­de in „höhe­re Gewalt“ ein­ge­ord­net. Das zeigt, wie auch der jüng­ste tra­gi­sche Unfall bei Ger­man­wings, dass sich Sicher­heits­be­wer­tun­gen nicht nur auf die tech­ni­sche Sicher­heit abstüt­zen dürfen.

Im Zusam­men­hang mit Fuku­shi­ma gei­ster­te eine Zahl durch die Pres­se: „Eine Kern­schmel­ze kommt nur ein­mal in 10.000 Jah­ren vor“. Wie kommt man zu solch einer Aus­sa­ge? Ist sie seri­ös? Was bedeu­tet sie? Wel­che Unfall­ur­sa­chen sind damit abge­deckt? Ist das ein Maß für die „nicht abso­lu­te Sicher­heit“? Oder für das „klei­ne Rest­ri­si­ko“? Die­sen Fra­gen wol­len wir in den näch­sten Aus­ga­ben nachgehen.

Die­ter Lenzkes
Bürger-für-Bürger-Energie
www​.bfb​-ener​gie​.de

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