Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Neue Stu­die plä­diert für recht­zei­ti­ge Arbeits­markt­re­for­men mit dem Ziel einer stär­ke­ren Dezentralisierung

Symbolbild Bildung

Lohn­fest­set­zung in Zei­ten der Globalisierung

Je wei­ter die Glo­ba­li­sie­rung vor­an­schrei­tet, desto mehr öff­nen sich natio­na­le Gren­zen für den frei­en Ver­kehr von Waren, Dienst­lei­stun­gen und Kapi­tal. Wel­che Fol­gen erge­ben sich dar­aus für Län­der, die mit offe­nen Volks­wirt­schaf­ten an die­sen Pro­zes­sen teil­ha­ben? Wer­den der Wohl­stand in der Bevöl­ke­rung und die Arbeits­lo­sen­quo­te davon beein­flusst, ob Löh­ne zen­tral durch flä­chen­decken­de Tarif­ver­trä­ge oder dezen­tral auf Unter­neh­mens­ebe­ne fest­ge­setzt wer­den? Mit die­ser Fra­ge befas­sen sich Prof. Dr. Hart­mut Egger und Dipl.-Volkswirt Dani­el Etzel an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth in einer neu­en Stu­die, die jetzt online im Fach­jour­nal „Regio­nal Sci­ence and Urban Eco­no­mics“ erschie­nen ist.

Dem Ziel, grund­le­gen­de öko­no­mi­sche Abläu­fe in einer Volks­wirt­schaft und das Han­deln der dar­an betei­lig­ten Akteu­re prä­zi­se zu beschrei­ben, die­nen in den Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten so genann­te „All­ge­mei­ne Gleich­ge­wichts­mo­del­le“. Prof. Egger, der an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth den Lehr­stuhl für Inter­na­tio­na­le Makro­öko­no­mie und Han­del inne­hat, legt des­halb auch der neu­en Stu­die zur Lohn­fest­set­zung ein sol­ches Modell zugrun­de. Es geht davon aus, dass zwei Län­der mit offe­nen Volks­wirt­schaf­ten im öko­no­mi­schen Wett­be­werb ste­hen. In bei­den Län­dern sind Gewerk­schaf­ten an der Fest­set­zung von Löh­nen maß­geb­lich betei­ligt. Im einen Land geschieht dies zen­tral, bei­spiels­wei­se durch flä­chen­decken­de Tarif­ver­trä­ge in ein­zel­nen Bran­chen; im ande­ren Land wer­den die Löh­ne dezen­tral für jedes Unter­neh­men festgelegt.

Zwei Sze­na­ri­en: Offe­ne Volks­wirt­schaf­ten im Wettbewerb

Auf die­ser Grund­la­ge ent­wer­fen die Autoren zunächst ein Sze­na­rio mit einer rela­tiv kurz­fri­sti­gen Per­spek­ti­ve. Die Volks­wirt­schaf­ten bei­der Län­der sind dabei nur inso­fern offen, als ihre Pro­dukt­märk­te voll­stän­dig inte­griert sind und ein unge­hin­der­ter grenz­über­schrei­ten­der Aus­tausch von Waren und Dienst­lei­stun­gen statt­fin­det. Das vor­han­de­ne Kapi­tal ist jedoch unbe­weg­lich und wird jeweils nur im Inland inve­stiert. Auf die­se Wei­se spie­gelt das Sze­na­rio – in modell­haf­ter Zuspit­zung – die Befind­lich­keit in Volks­wirt­schaf­ten, die unter einem ‚Glo­ba­li­sie­rungs­schock‘ ste­hen. In die­sem Fall nut­zen Kapi­tal­ei­gen­tü­mer noch nicht die vol­le Band­brei­te von Inve­sti­ti­ons­mög­lich­kei­ten im Aus­land, obwohl der grenz­über­schrei­ten­de Han­del mit Pro­duk­ten bereits aufblüht.

Eine der­ar­ti­ge Dis­kre­panz kommt, wie die Stu­die zeigt, bei­den Volks­wirt­schaf­ten zugu­te. Denn der Han­del mit Waren und Dienst­lei­stun­gen stei­gert den Wett­be­werb zwi­schen den Unter­neh­men der bei­den Län­der. Infol­ge die­ser Kon­kur­renz sind die Gewerk­schaf­ten dar­an gehin­dert, sehr hohe Lohn­for­de­run­gen durch­zu­set­zen und inlän­di­sche Pro­duk­te dadurch zu ver­teu­ern. Daher nähern sich der Wohl­stand und die Arbeits­lo­sen­ra­ten bei­der Volks­wirt­schaf­ten ein­an­der an. Die unter­schied­li­chen Ver­fah­ren bei der Lohn­fest­set­zung haben dabei kei­ne gra­vie­ren­den Aus­wir­kun­gen: Arbeit­neh­mer pro­fi­tie­ren von stär­ke­rer Kon­kur­renz am Güter­markt, und die Beschäf­ti­gung steigt in bei­den Ländern.

Anders ver­hält es sich jedoch in einem zwei­ten Sze­na­rio, das einen lang­fri­sti­gen Pro­zess der Glo­ba­li­sie­rung wider­spie­gelt. Dann ist auch das Kapi­tal inter­na­tio­nal mobil, und Inve­sto­ren suchen welt­weit nach beson­ders viel­ver­spre­chen­den Anla­ge­mög­lich­kei­ten. Dabei stei­gen lang­fri­stig die Kapi­tal­flüs­se in das Land, in dem Löh­ne dezen­tral fest­ge­legt wer­den. Denn auf betrieb­li­cher Ebe­ne aus­ge­han­del­te Löh­ne sind in der Regel nied­ri­ger und fle­xi­bler als Löh­ne, die in bran­chen­be­zo­ge­nen Tarif­ver­trä­gen ver­ein­bart wer­den – und umso attrak­ti­ver sind die Inve­sti­ti­ons­be­din­gun­gen für Kapi­tal­ei­gen­tü­mer. In dem Land mit zen­tra­li­sier­ter Lohn­fest­set­zung steigt somit die Arbeits­lo­sig­keit, weil weni­ger Inve­sti­tio­nen in inlän­di­sche Unter­neh­men flie­ßen; gleich­zei­tig aber pro­fi­tie­ren die Kapi­tal­ei­gen­tü­mer davon, dass sie im Aus­land hohe Ren­di­ten erzie­len. In dem kon­kur­rie­ren­den Land, wo die Lohn­fest­set­zung dezen­tral orga­ni­siert ist, ent­ste­hen hin­ge­gen neue Arbeits­plät­ze. Aller­dings wer­den die hier ange­sie­del­ten Kapi­tal­ei­gen­tü­mer geschwächt; denn ihre Betrie­be ver­lie­ren Markt­an­tei­le an die von aus­län­di­schen Inve­sto­ren finan­zier­ten Unternehmen.

Plä­doy­er für eine recht­zei­ti­ge Dezen­tra­li­sie­rung und Flexibilisierung

Wel­che Kon­se­quen­zen sind aus die­sen modell­haf­ten Sze­na­ri­en zu zie­hen? Die Autoren der Stu­die zeich­nen in die­ser Fra­ge ein dif­fe­ren­zier­tes Bild. Refor­men zugun­sten einer stär­ke­ren Dezen­tra­li­sie­rung sind aus ihrer Sicht klar zu befür­wor­ten, wenn ein Land noch nicht in vol­lem Umfang vom Pro­zess der Glo­ba­li­sie­rung erfasst wor­den ist; genau­er gesagt: solan­ge hei­mi­sche Kapi­tal­ei­gen­tü­mer die Mög­lich­kei­ten eines grenz­über­schrei­ten­den Kapi­tal­trans­fers noch nicht in vol­lem Umfang für sich nut­zen. Falls in die­ser Pha­se die Fest­set­zung von Löh­nen stär­ker dezen­tra­li­siert und fle­xi­bler gestal­tet wird, kann der Abfluss von Kapi­tal ins Aus­land begrenzt werden.

Prof. Egger ist über­zeugt, dass das Zeit­fen­ster für der­ar­ti­ge Arbeits­markt­re­for­men in Deutsch­land und ande­ren euro­päi­schen Län­dern der­zeit noch offen­steht. „Sol­che Refor­men soll­ten daher nicht auf die lan­ge Bank gescho­ben wer­den“, erklärt der Bay­reu­ther Öko­nom. „Wenn die Ver­fah­ren zur Fest­set­zung von Löh­nen fle­xi­bler gestal­tet wer­den und sowohl betrieb­li­che als auch regio­na­le Unter­schie­de dabei stär­ker berück­sich­tigt wer­den, stei­gen die Chan­cen, dass alle Ein­kom­mens­grup­pen lang­fri­stig von der Glo­ba­li­sie­rung pro­fi­tie­ren. Dies bedeu­tet nicht, dass die Gewerk­schaf­ten ihre bedeu­ten­de wirt­schafts- und sozi­al­po­li­ti­sche Funk­ti­on ver­lie­ren. Im Gegen­teil: Die Berech­nun­gen, die unse­rer Stu­die zugrun­de lie­gen, gehen ja davon aus, dass Gewerk­schaf­ten einen wesent­li­chen Anteil an der Fest­set­zung von Löh­nen haben. Sie soll­ten sich aber von gewohn­ten insti­tu­tio­na­li­sier­ten Ver­fah­ren lösen und – gera­de auch im Inter­es­se der Arbeit­neh­mer – zu einer stär­ke­ren Dezen­tra­li­sie­rung bereit sein.“

Falls der­ar­ti­ge Refor­men erst dann auf den Weg gebracht wer­den, wenn Kapi­tal­ei­gen­tü­mer die Glo­ba­li­sie­rung in vol­lem Umfang für Aus­lands­in­ve­sti­tio­nen nut­zen, ist es der Stu­die zufol­ge oft zu spät. Das ins Aus­land trans­fe­rier­te und hier neu inve­stier­te Kapi­tal lässt sich dann nur schwer wie­der ins Inland zurück­ho­len. „Eine sol­che Ent­wick­lung wür­de man­che Arbeit­neh­mer­grup­pen im Inland unver­meid­lich zu Ver­lie­rern der Glo­ba­li­sie­rung machen. Es ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass sich dar­aus ein Pro­test­po­ten­zi­al ent­wickelt, das sich gegen den frei­en Aus­tausch von Pro­duk­ten und Kapi­tal wen­det und mit Nach­druck eine Poli­tik der natio­na­len Abschot­tung for­dert“, meint Prof. Egger.

Ver­öf­fent­li­chung:

Hart­mut Egger and Dani­el Etzel,

Uni­on wage-set­ting and inter­na­tio­nal trade with foot­loo­se capital,

Regio­nal Sci­ence and Urban Eco­no­mics, Volu­me 48, Sep­tem­ber 2014, Pages 56–67,

published ahead of print: DOI: 10.1016/j.regsciurbeco.2014.04.008