Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Mikro­con­tai­ner aus Spin­nen­sei­de für die medi­zi­ni­sche Diagnostik

Symbolbild Bildung

Die Bio­me­di­zin hat ein zuneh­mend star­kes Inter­es­se an Kap­seln, die geeig­net sind, um Enzy­me dar­in ein­zu­schlie­ßen. Dabei geht es einer­seits um the­ra­peu­ti­sche Zwecke wie den siche­ren Trans­port von Wirk­stof­fen, ande­rer­seits um die Ver­wen­dung von Enzy­men im Rah­men medi­zi­ni­scher Dia­gno­sen. Einer For­schungs­grup­pe um Prof. Dr. Tho­mas Schei­bel an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth ist es jetzt gelun­gen, aus Pro­te­inen der Spin­nen­sei­de hoch­lei­stungs­fä­hi­ge Kap­seln her­zu­stel­len, die erst­mals zwei Funk­tio­nen gleich­zei­tig erfül­len: Sie schüt­zen die Enzy­me vor zer­set­zen­den Pro­tea­sen; aber sie machen es mög­lich, die Akti­vi­tät der ein­ge­schlos­se­nen Enzy­me von außen zu steu­ern und zu beobachten.

Sicher ver­packt, aber von außen steu­er­bar: Ver­kap­sel­te Enzy­me eröff­nen neue Mög­lich­kei­ten der Diagnose

Mit die­ser Dop­pel­funk­ti­on eröff­nen die Kap­seln neue Per­spek­ti­ven für die medi­zi­ni­sche Dia­gno­stik. So kön­nen bei­spiels­wei­se gering­ste Men­gen von schäd­li­chen Inhalts­stof­fen im Blut dadurch nach­ge­wie­sen wer­den, dass sie bei den ein­ge­schlos­se­nen Enzy­men zu bestimm­ten Reak­tio­nen füh­ren, wenn sie in die Kap­sel ein­drin­gen. Zugleich sind die im Blut ent­hal­te­nen Pro­tea­sen nicht in der Lage, die Kap­seln zu durch­drin­gen und die Enzy­me zu spal­ten. „Die Kap­seln, die wir aus künst­lich her­ge­stell­ter Spin­nen­sei­de ent­wickelt haben, sind schüt­zen­de Con­tai­ner, die es gleich­wohl erlau­ben, von außen auf die ein­ge­schlos­se­nen Enzy­me gezielt ein­zu­wir­ken und damit che­mi­sche Reak­tio­nen zu steu­ern und nach­zu­wei­sen“, erklärt Prof. Schei­bel. „Die­se Effek­te sind den beson­de­ren Eigen­schaf­ten des von uns ver­wen­de­ten Sei­den­pro­te­ins zu verdanken.

Medi­zi­nisch unbe­denk­lich: Ein neu­es Ver­fah­ren für die Her­stel­lung sta­bi­ler Kapseln

In der Online-Aus­ga­be der Zeit­schrift „Advan­ced Func­tion­al Mate­ri­als“ berich­tet das For­schungs­team, an dem auch Dr. Alfons Nichtl von der Roche Dia­gno­stics betei­ligt war, über die neue Ent­wick­lung. Die Kap­seln wur­den aus einem künst­lich her­ge­stell­ten Spin­nen­sei­den­pro­te­in, dem Pro­te­in eADF4(C16), gebil­det. Hier­für haben die Bay­reu­ther For­scher ein neu­es Ver­fah­ren ent­wickelt: Für die For­mung der Kap­seln wur­de ein ungif­ti­ges, in medi­zi­ni­scher Hin­sicht unbe­denk­li­ches Sili­kon­öl ver­wen­det; in einem wei­te­ren Schritt erhiel­ten die Kap­seln mit­hil­fe einer Nach­be­hand­lung mit Etha­nol eine hohe struk­tu­rel­le Festigkeit.

Die dar­aus resul­tie­ren­den run­den Kap­seln sind mit blo­ßem Auge nicht zu erken­nen. Denn sie haben einen Durch­mes­ser zwi­schen 1 und 30 Mikro­me­tern, also zwi­schen 0,001 und 0,03 Mil­li­me­tern. Ihre mecha­ni­sche Festig­keit ist hoch. Sie liegt zwi­schen 0,7 und 3,0 Giga­pas­cal und über­trifft damit die Festig­keit von Kap­seln aus vie­len ande­ren infra­ge kom­men­den Mate­ria­li­en. Zudem zeich­nen sich die Kap­sel­mem­bra­nen aus Spin­nen­sei­de, wie sich in den Bay­reu­ther Expe­ri­men­ten her­aus­stell­te, durch einen wei­te­ren Vor­teil aus: Sie haben eine deut­lich gerin­ge­re Poro­si­tät als bei­spiels­wei­se Kap­seln, die aus Sei­den­pro­te­inen der Rau­pen des Maul­beer­spin­ners her­ge­stellt wer­den. Daher sind Sub­stan­zen unter­halb eines bestimm­ten mole­ku­la­ren Gewichts (27 kDa) nicht imstan­de, aus der Kap­sel nach drau­ßen zu entweichen.

β‑Galactosidase als Modell­enzym: Spin­nen­sei­de schützt vor zer­set­zen­den Proteasen

Um her­aus­zu­fin­den, wie gut sich die­se Kap­seln für bio­me­di­zi­ni­sche Anwen­dun­gen eig­nen, haben Prof. Schei­bel und sei­ne Mit­ar­bei­ter auf das Enzym β‑Galactosidase zurück­ge­grif­fen, das in allen Lebe­we­sen vor­kommt und an deren Stoff­wech­sel mit­wirkt. Die­ses Enzym wur­de in den Spin­nen­sei­den­kap­seln ein­ge­schlos­sen, ohne dass es wäh­rend­des­sen mit den Kap­sel­wän­den ver­kleb­te oder in sei­ner mole­ku­la­ren Struk­tur ver­än­dert wur­de. Pro­tease-Mole­kü­len, die die­ses Enzym nor­ma­ler­wei­se sehr schnell zer­set­zen, gelang es nicht, die Sei­den­kap­seln von außen anzu­grei­fen und sich einen Weg ins Inne­re zu bahnen.

Mit spek­tro­sko­pi­schen Ver­fah­ren sicht­bar gemacht: Die geziel­te Akti­vie­rung ein­ge­schlos­se­ner Enzyme

Zugleich hat die For­schungs­grup­pe modell­haft zei­gen kön­nen, wie sich die Akti­vi­tät des ein­ge­schlos­se­nen Enzyms von außen steu­ern lässt. Im Inne­ren der Kap­sel wur­den β‑Ga­lac­to­si­da­se-Frag­men­te plat­ziert, die jeweils ein Dimer bil­den, also aus zwei glei­chen Mole­kül­tei­len bestehen. In die­ser Struk­tur ist das Enzym inak­tiv. Kom­ple­men­tä­re -Pep­ti­de sind in der Lage, von außen ins Inne­re der Kap­sel ein­zu­drin­gen und an die β‑Ga­lac­to­si­da­se-Frag­men­te zu bin­den. Die­se bil­den dar­auf­hin jeweils ein Tetra­mer, also eine Struk­tur aus vier glei­chen Mole­kül­tei­len. In die­ser Struk­tur ist das Enzym aktiv. Indem also die For­scher das Pep­tid in das Medi­um ein­brin­gen, das die Kap­sel umgibt, lösen sie inner­halb der Kap­sel die Akti­vie­rung des Enzyms aus.

Die­se Art der Akti­vie­rung der β‑Galactosidase wird als α‑Komplementation bezeich­net. Sie lässt sich mit Hil­fe einer spek­tro­sko­pisch nach­weis­ba­ren Farb­stoff­re­ak­ti­on, die eben­falls von außen initi­iert wird und inner­halb der Kap­seln abläuft, prä­zi­se beob­ach­ten. „Die neu­en Kap­seln aus Spin­nen­sei­de sind daher Schutz­con­tai­ner, in denen sich enzy­ma­ti­sche Reak­tio­nen gezielt her­bei­füh­ren und unter­su­chen las­sen. Sie ermög­li­chen grund­sätz­lich eine Viel­zahl tech­ni­scher und medi­zi­ni­scher Anwen­dun­gen und sind des­halb ein hoch­will­kom­me­nes Instru­ment für die bio­me­di­zi­ni­sche For­schung“, resü­miert Prof. Schei­bel die bis­he­ri­gen Forschungsergebnisse.

Ver­öf­fent­li­chung:

Blüm, C., Nichtl, A. and Schei­bel, T. (2013),
Spi­der Silk Cap­su­les as Pro­tec­ti­ve Reac­tion Con­tai­ners for Enzymes.
Advan­ced Func­tion­al Mate­ri­als. DOI: 10.1002/adfm.201302100
Artic­le first published online: 3 Sep 2013