Uni­ver­si­tät Bay­reuth: Preis­ge­krön­te For­schungs­ar­beit zu schwan­ge­ren HIV-infi­zier­ten Frau­en in Lesotho

Symbolbild Bildung

„Zwi­schen Leben und Tod“

Dr. des. Lena Kroe­ker, Absol­ven­tin der Bay­reuth Inter­na­tio­nal Gra­dua­te School of Afri­can Stu­dies (BIGS­AS), ist mit dem dies­jäh­ri­gen KfW-För­der­preis für exzel­len­te pra­xis­re­le­van­te Ent­wick­lungs­for­schung aus­ge­zeich­net wor­den. Mit die­sem För­der­preis für den wis­sen­schaft­li­chen Nach­wuchs wür­digt die KfW Ent­wick­lungs­bank her­aus­ra­gen­de Dis­ser­ta­tio­nen, die mit Bezug auf kon­kre­te prak­ti­sche Her­aus­for­de­run­gen neue Sicht­wei­sen und Hand­lungs­an­sät­ze erschlie­ßen. Die Bay­reu­ther Sozi­al­an­thro­po­lo­gin erhielt den Preis für ihre Unter­su­chun­gen zu HIV-infi­zier­ten schwan­ge­ren Frau­en in dem süd­afri­ka­ni­schen Staat Leso­tho. Am 21. Juni 2013 nahm sie den Preis in Mün­chen entgegen.

Bei der Aus­wahl der Preis­trä­ge­rin­nen und Preis­trä­ger arbei­tet die KfW Ent­wick­lungs­bank mit dem Ver­ein für Social­po­li­tik zusam­men, der als eine der bedeu­tend­sten wirt­schafts­wis­sen­schaft­li­chen Ver­ei­ni­gun­gen im deut­schen Sprach­raum gilt. Die Preis­ver­lei­hung fand daher im Rah­men der Jah­res­ta­gung statt, die der Aus­schuss für Ent­wick­lungs­län­der des Ver­eins für Social­po­li­tik in die­sem Jahr an der Lud­wig-Maxi­mi­li­ans-Uni­ver­si­tät ver­an­stal­te­te. Die Vor­sit­zen­de des Aus­schus­ses, Prof. Dr. Katha­ri­na Michae­lo­wa (ETH Zürich), hat­te die Aus­wahl­ju­ry ein­be­ru­fen. In die­sem Jahr, so berich­te­te sie, habe es unge­wöhn­lich vie­le Ein­sen­dun­gen gege­ben, so dass die Ent­schei­dung für die Jury sehr schwie­rig gewe­sen sei. Des­halb wur­den erst­mals drei, jeweils mit 3.000 Euro dotier­te Erste Prei­se ver­ge­ben und nicht, wie in den Vor­jah­ren, drei Prei­se mit unter­schied­li­cher Dotierung.

Selbst­be­stimm­te Hand­lungs­stra­te­gien für den Lebensalltag

„Zwi­schen Leben und Tod“ – so bezeich­nen die Men­schen in Leso­tho die gesam­te Zeit­span­ne von der Schwan­ger­schaft bis zur post­na­ta­len Ver­sor­gung. Lena Kroe­ker hat die­se Rede­wen­dung als Titel für ihre Dis­ser­ta­ti­on gewählt. Dar­in beschreibt sie die exi­sten­zi­el­le Pro­ble­ma­tik, der Frau­en in Leso­tho aus­ge­setzt sind, wenn sie nicht allein schwan­ger, son­dern auch mit dem HIV-Virus infi­ziert sind. Zugleich aber arbei­tet sie die kom­ple­xen Hand­lungs­stra­te­gien her­aus, mit denen die betrof­fe­nen Frau­en auf die bedrän­gen­den, teil­wei­se wider­sprüch­li­chen For­de­run­gen aus ihrem Lebens­um­feld reagie­ren. Frei­räu­me für ein selbst­be­stimm­tes Han­deln zu bewah­ren oder neu zu ent­wickeln, ist das Ziel die­ser Stra­te­gien. Ein umsich­ti­ges, krea­ti­ves „Navi­gie­ren“ zwi­schen ver­schie­de­nen gesell­schaft­li­chen Instan­zen und deren Erwar­tun­gen prägt so den Lebensalltag.

Mit drei­ßig Frau­en und ihren Fami­li­en hat sich Lena Kroe­ker wäh­rend ihrer For­schungs­auf­ent­hal­te inten­siv befasst – sei es bei Besu­chen in Kran­ken­häu­sern oder in den Woh­nun­gen der Betrof­fe­nen. „Es ist beein­druckend, wie schwan­ge­re, HIV-infi­zier­te Frau­en in Leso­tho ihre unge­wis­se Situa­ti­on mei­stern“, meint die Bay­reu­ther Absol­ven­tin, die jetzt als wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin an der Bay­reuth Aca­de­my for Advan­ced Afri­can Stu­dies tätig ist. „Durch geschick­te Anpas­sun­gen, die oft­mals einem täg­li­chen Zick-Zack-Kurs glei­chen, gelingt es den Frau­en Kon­flik­te zu umge­hen, die sie ange­sichts der sozia­len Kräf­te­ver­hält­nis­se in ihrem Umfeld nicht gewin­nen können.“

„Die Unter­su­chun­gen von Lena Kroe­ker bie­ten wert­vol­le Ein­sich­ten in sozia­le Struk­tu­ren und Kon­flikt­fel­der, die in der For­schung bis­her weit­ge­hend unbe­ach­tet geblie­ben sind“, erklärt Prof. Dr. Erd­mu­te Alber, die an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth den Lehr­stuhl für Sozi­al­an­thro­po­lo­gie lei­tet und die Dis­ser­ta­ti­on betreut hat. „Bevor man aber sei­tens der Ent­wick­lungs­po­li­tik Maß­nah­men ergreift, die auf die HIV/AIDS-Bekämp­fung im süd­li­chen Afri­ka abzie­len, ist es wich­tig, die loka­len Gege­ben­hei­ten vor Ort zu ken­nen. Zudem kommt es ent­schei­dend dar­auf an, das Bestre­ben der Frau­en nach einer mög­lichst selbst­be­stimm­ten Gestal­tung ihres schwie­ri­gen Lebens­all­tags ernst zu neh­men und zu stärken.“

Im Span­nungs­feld zwi­schen medi­zi­ni­schem Wis­sen und fami­liä­ren Strukturen

In den letz­ten 30 Jah­ren, wäh­rend sich die Infek­ti­on HIV/AIDS im süd­afri­ka­ni­schen Raum aus­brei­te­te, haben Frau­en in Leso­tho eine grö­ße­re finan­zi­el­le Unab­hän­gig­keit und damit auch eine grö­ße­re Selb­stän­dig­keit in ihren all­täg­li­chen Ent­schei­dun­gen erlangt. Die von ihnen gegrün­de­ten städ­ti­schen Haus­hal­te bestehen in der Regel aus Eltern mit Kin­dern, einem kin­der­lo­sen Paar oder aus einer allein­er­zie­hen­den Mut­ter mit Kin­dern. Hier sind die Frau­en nicht nur Haus­halts­vor­stän­de, son­dern ver­fü­gen auch – wäh­rend die Män­ner oft­mals im Nach­bar­staat Süd-Afri­ka arbei­ten – über ein eige­nes Ein­kom­men. Gleich­wohl haben die tra­di­tio­nel­len Fami­li­en­be­zie­hun­gen, die sich über meh­re­re Gene­ra­tio­nen erstrecken, eine unge­bro­che­ne sozia­le Bedeu­tung, vor allem bei der Ver­sor­gung von Kin­dern und der Krankenpflege.

Dies tritt beson­ders deut­lich zuta­ge, wenn Frau­en sowohl schwan­ger als auch mit dem HIV-Virus infi­ziert sind. Dann gera­ten sie rasch in ein Kon­flikt­feld zwi­schen gegen­sätz­li­chen For­de­run­gen und Erwar­tun­gen. In medi­zi­ni­schen Ver­sor­gungs­ein­rich­tun­gen gel­ten sie vor­ran­gig als infi­zier­te Pati­en­tin­nen, die Schwan­ger­schaft wird eher als zweit­ran­gig auf­ge­fasst. Im Hin­blick auf eine effi­zi­en­te Behand­lung und Für­sor­ge wird von den Frau­en ver­langt, dass sie ihren Lebens­all­tag an moder­nen bio­me­di­zi­ni­schen Stan­dards aus­rich­ten, die im Rah­men der west­li­chen Schul­me­di­zin ent­wickelt wur­den. Inso­fern sie ihr eige­nes Leben und das Leben ihrer Kin­der schüt­zen wol­len, sehen sie sich genö­tigt, die­sen Hand­lungs­emp­feh­lun­gen zu folgen.

Zugleich sind die betrof­fe­nen Frau­en auf prak­ti­sche Unter­stüt­zung und Pfle­ge ange­wie­sen, sie haben das Bedürf­nis nach emo­tio­na­ler Zuwen­dung in einem mög­lichst sta­bi­len sozia­len Umfeld. In die­ser Hin­sicht wie­der­um sehen sie sich an die Struk­tu­ren und Kräf­te­ver­hält­nis­se in der tra­di­tio­nel­len Groß­fa­mi­lie gebun­den. Hier steht die Schwan­ger­schaft im Mit­tel­punkt, wäh­rend HIV/AIDS als Neben­aspekt gilt. Die Fami­li­en­äl­te­sten for­dern die Ein­hal­tung tra­di­tio­nel­ler Riten, Nor­men und Ver­hal­tens­re­geln. Da sie in der Regel dar­über ent­schei­den, wie die Ver­sor­gung inner­halb der Groß­fa­mi­lie orga­ni­siert wird, haben schwan­ge­re und HIV-infi­zier­te Frau­en ein star­kes Inter­es­se dar­an, sich mit den Fami­li­en­äl­te­sten gut zu stellen.

„Wenn es kei­ne ande­re Mög­lich­keit gibt, Sank­tio­nen zu ver­mei­den, pas­sen sich die Frau­en wider­wil­lig den fami­liä­ren Anwei­sun­gen an. Doch oft­mals kann das Vor­täu­schen fal­scher Tat­sa­chen hel­fen, eige­ne Hand­lungs­mög­lich­kei­ten zu erwei­tern und unan­ge­neh­me Situa­tio­nen zu ver­mei­den“, berich­tet Lena Kroe­ker. „Auch gelingt es man­chen Frau­en, sich der fami­liä­ren Kon­trol­le zeit­wei­se durch phy­si­sche Abwe­sen­heit zu ent­zie­hen – wie bei­spiels­wei­se Tex­til­ar­bei­te­rin­nen, die meist in ange­mie­te­ten Ein­zim­mer­woh­nun­gen leben.“ Man­che Frau­en lie­ßen sich, wenn der sozia­le Druck steigt, gegen­über Ärz­ten, Bera­tern oder Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen von einer respek­tier­ten Ver­trau­ens­per­son ver­tre­ten und könn­ten dadurch eige­ne Inter­es­sen bes­ser wahren.