Uni­ver­si­tät Bam­berg: „Märk­te unter­gra­ben die Moral“

Symbolbild Bildung

For­scher der Uni­ver­si­tä­ten Bam­berg und Bonn testen den Ein­fluss des Mark­tes auf ethi­sches Handeln

In Umfra­gen spre­chen sich die mei­sten Men­schen gegen Kin­der­ar­beit, Aus­beu­tung und tier­quä­le­ri­sche Fleisch­pro­duk­ti­on aus. Zugleich igno­rie­ren sie aber ihre eige­nen mora­li­schen Ansprü­che, wenn sie als Kun­den nach den bil­lig­sten Pro­duk­ten suchen. Markt­kräf­te füh­ren dazu, dass mora­li­sche Wer­te an Bedeu­tung ver­lie­ren. Das haben Öko­no­men der Uni­ver­si­tä­ten Bonn und Bam­berg nun in Expe­ri­men­ten gezeigt. Die Ergeb­nis­se wer­den in der aktu­el­len Aus­ga­be des renom­mier­ten Fach­jour­nals „Sci­ence“ vorgestellt.

Die Öko­no­men Prof. Dr. Armin Falk von der Uni­ver­si­tät Bonn und Prof. Dr. Nora Szech von der Uni­ver­si­tät Bam­berg haben nun in einem Expe­ri­ment nach­ge­wie­sen, dass mora­li­sche Ansprü­che bei wirt­schaft­lich rele­van­ten Ent­schei­dun­gen eine weit­aus grö­ße­re Rol­le spie­len, wenn sie allein ver­ant­wor­tet wer­den. In einem Markt mit vie­len Akteu­ren ten­die­ren Pro­ban­den hin­ge­gen dazu, ethi­sche Beden­ken links lie­gen zu lassen.

Akteu­re han­deln im Markt­ge­sche­hen gegen ihre eige­nen Ansprüche

„Unse­re Ergeb­nis­se zei­gen, dass die Akteu­re im Markt­ge­sche­hen gegen ihre eige­nen mora­li­schen Stan­dards ver­sto­ßen“, sagt Prof. Falk. Das kol­lek­ti­ve Han­deln füh­re ten­den­zi­ell dazu, dass die Teil­neh­mer gegen­über ihren ethi­schen Ansprü­chen Abstri­che machen. In ver­schie­de­nen Expe­ri­men­ten wur­den meh­re­re hun­dert Pro­ban­den vor die mora­li­sche Ent­schei­dung gestellt, auf einen bestimm­ten in Aus­sicht gestell­ten Geld­be­trag zu ver­zich­ten und damit das Leben einer Maus zu ret­ten – oder aber statt­des­sen das Geld zu neh­men und die Maus zu opfern. „Die Wir­kung von Märk­ten und ande­ren Ent­schei­dungs­in­sti­tu­tio­nen auf unser mora­li­sches Han­deln ver­dient beson­de­res Augen­merk. Wir als Öko­no­men müs­sen uns die­ser Fra­ge stel­len“, erläu­tert Prof. Szech.

„Wir haben unter­sucht, ob Men­schen bereit sind, einem Drit­ten Scha­den zuzu­fü­gen und damit unmo­ra­lisch zu han­deln“, sagt Prof. Falk. Bei den Tie­ren han­del­te es sich um soge­nann­te „über­zäh­li­ge Mäu­se“ in aus­län­di­schen Labo­ren. Die­se Mäu­se wer­den für die For­schung nicht mehr gebraucht und wären alle ein­ge­schlä­fert wor­den. Durch das Expe­ri­ment wur­de also kei­ne zusätz­li­che Maus getö­tet, im Gegen­teil: Durch die Stu­die wur­den vie­le hun­dert Mäu­se geret­tet, die sonst getö­tet wor­den wären. Ent­schied sich eine Test­per­son dafür eine Maus zu ret­ten, wur­de die Maus von den Lei­tern der Stu­die gekauft. Die geret­te­ten Mäu­se sind gesund und leben nun unter best­mög­li­chen Labor­be­din­gun­gen und medi­zi­ni­scher Ver­sor­gung wei­ter. Im Markt wackeln die mora­li­schen Ansprüche

Ein Teil der Pro­ban­den hat­te die mora­li­sche Ent­schei­dung für das Geld oder die Maus allein (indi­vi­du­ell) zu tref­fen. Die­se Bedin­gung erlaubt Rück­schlüs­se auf die herr­schen­den mora­li­schen Stan­dards. Die indi­vi­du­el­le Bedin­gung wur­de mit zwei Markt­be­din­gun­gen ver­gli­chen, in denen ent­we­der nur ein Käu­fer und ein Ver­käu­fer (bila­te­ra­ler Markt) oder eine grö­ße­re Anzahl von Käu­fern und Ver­käu­fern (mul­ti­la­te­ra­ler Markt) mit­ein­an­der han­deln konn­ten. Immer wenn ein Kaufs- oder Ver­kaufs­an­ge­bot akzep­tiert wur­de, kam es zu einem Han­del mit der Fol­ge, dass eine Maus starb. Das Haupt­er­geb­nis der Stu­die ist, dass im Ver­gleich zur indi­vi­du­el­len Bedin­gung in bei­den Markt­be­din­gun­gen signi­fi­kant mehr Pro­ban­den dazu bereit sind, Mäu­se für Geld zu töten: Märk­te füh­ren also zu einer Ero­si­on mora­li­scher Wer­te. „Wenn meh­re­re Akteu­re betei­ligt sind, wird es offen­bar ein­fa­cher, sei­ne mora­li­schen Stan­dards zurück­zu­stel­len“, sagt Nora Szech. In Märk­ten mit meh­re­ren Käu­fern und Ver­käu­fern zäh­len die eige­nen mora­li­schen Ansprü­che weni­ger; Schuld­ge­füh­le kön­nen mit ande­ren geteilt wer­den, zudem erfährt man, dass ande­re auch nicht immer mora­lisch ein­wand­frei handeln.

„Wenn ich nicht kau­fe oder ver­kau­fe, tut es jemand anderes.“

In Märk­ten mit vie­len Käu­fern und Ver­käu­fern sieht sich der Ein­zel­ne zudem weni­ger mora­lisch in der Pflicht, weil er sich damit recht­fer­ti­gen kann, ohne­hin nur einen gerin­gen Ein­fluss auf das Gesche­hen zu haben. „Die­se Logik ist all­ge­mein eine Eigen­schaft von Märk­ten“, sagt Prof. Falk. Händ­ler ver­wei­sen in die­sem Zusam­men­hang gern auf den bewähr­ten Spruch: „Wenn ich nicht kau­fe oder ver­kau­fe, tut es jemand ande­res.“ Dage­gen ist die­se Logik bei mora­lisch neu­tra­len Kon­sum­gü­tern weni­ger bedeut­sam: „Wenn kein Drit­ter zu Scha­den kommt, ver­lie­ren Märk­te die­sen Ein­fluss auf unser Ver­hal­ten. Wenn ich mich nicht schul­dig füh­le, benö­ti­ge ich kei­nen Han­dels­part­ner, um mein Gewis­sen zu erleich­tern“, erklärt Nora Szech.

Publi­ka­ti­on: Morals and Mar­kets, Sci­ence, DOI: 10.1126/science.1231566