Wie Immun­zel­len Bak­te­ri­en unschäd­lich machen: Neu­es Mess­ver­fah­ren kann medi­zi­ni­sche Dia­gno­stik unterstützen

Symbolbild Bildung

Immun­zel­len haben die Auf­ga­be, den Orga­nis­mus gegen Bak­te­ri­en und krank­heits­er­re­gen­de Par­ti­kel zu schüt­zen. Sie tun dies, indem sie sich den Fremd­kör­per ein­ver­lei­ben und ihn dadurch unschäd­lich machen. Die­sen Vor­gang, die soge­nann­te Pha­go­zy­to­se, haben Wis­sen­schaft­ler um Prof. Dr. Hol­ger Kress von der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und Prof. Dr. Men­no Prins von der TU Eind­ho­ven jetzt unter phy­si­ka­li­schen Aspek­ten genau­er unter­sucht. Sie haben dafür ein Ver­fah­ren ent­wickelt, mit dem der Ver­lauf die­ser Ein­ver­lei­bung und die dar­an betei­lig­ten mecha­ni­schen Kräf­te prä­zi­se gemes­sen wer­den kön­nen. Das Ver­fah­ren lässt sich mög­li­cher­wei­se bei der Dia­gno­se erkrank­ter Zel­len einsetzen.

Neue For­schungs­idee: Magne­ti­sche Par­ti­kel mit Leucht­punk­ten erset­zen die Bakterien

Wenn eine Immun­zel­le auf einen schäd­li­chen Fremd­kör­per trifft, beginnt sie ihn lang­sam zu umschlie­ßen. Es bil­det sich in der Zel­le eine scha­len­för­mi­ge Ver­tie­fung aus, in die das Bak­te­ri­um auf­ge­nom­men wird. Durch geziel­te Ver­for­mun­gen der Zell­mem­bran wird das Bak­te­ri­um immer tie­fer in die Zel­le hin­ein­ge­zo­gen, bis es völ­lig von ihr umschlos­sen ist. Die­sen Pro­zess, der nur weni­ge Minu­ten dau­ert, hat das deutsch-nie­der­län­di­sche Team im Labor künst­lich nach­ge­ahmt. Eine gemein­sam ent­wickel­te For­schungs­idee wur­de dabei von dem Dok­to­ran­den Mat­thi­as Irm­scher (Eind­ho­ven) umge­setzt, der an der Pla­nung der Expe­ri­men­te wesent­lich mit­ge­wirkt hat.

Bei den Expe­ri­men­ten wer­den magne­ti­sche Par­ti­kel mit einem Durch­mes­ser von nur 4,5 Mikro­me­tern ver­wen­det. Sie erhal­ten eine Beschich­tung mit Anti­kör­pern, so dass sie von Immun­zel­len als schäd­li­che Fremd­kör­per iden­ti­fi­ziert und ange­grif­fen wer­den. Auf­grund ihrer magne­ti­schen Eigen­schaf­ten haben die Par­ti­kel den ent­schei­den­den Vor­teil, dass sich ihre Bewe­gun­gen durch Magnet­fel­der steu­ern las­sen. Die­sen Effekt nut­zen die For­scher in Bay­reuth und Eind­ho­ven aus. Sobald eine Immun­zel­le eine scha­len­för­mi­ge Ver­tie­fung aus­ge­bil­det und einen Fremd­kör­per dar­in auf­ge­nom­men hat, ver­set­zen sie die­ses Par­ti­kel mit­hil­fe von rotie­ren­den Magnet­fel­dern in Rotationsbewegungen.

Aber wie kön­nen die For­scher die künst­lich erzeug­ten Dreh­be­we­gun­gen der Fremd­kör­per beob­ach­ten und mes­sen? Dies ist durch einen wei­te­ren Kunst­griff mög­lich. Auf den Par­ti­keln plat­zie­ren sie fluo­res­zie­ren­de Teil­chen, die einen Durch­mes­ser von nur 0,2 Mikro­me­tern haben. Mit­hil­fe die­ser leuch­ten­den Mar­kie­run­gen ist es mög­lich, die Geschwin­dig­keit und die Rich­tung der Par­ti­kel­be­we­gun­gen mit hoher Genau­ig­keit zu beob­ach­ten und zu messen.

Rück­schlüs­se auf die Immun­zel­le: Mem­bran und Zell­ske­lett ändern sich wäh­rend der Phagozytose

Auf­grund die­ser Mess­ergeb­nis­se kön­nen die Wis­sen­schaft­ler Rück­schlüs­se auf Eigen­schaf­ten und Ver­hal­tens­wei­sen der Immun­zel­le zie­hen. Von beson­de­rem Inter­es­se sind dabei die Zell­mem­bran, wel­che die Ober­flä­che der scha­len­för­mi­gen Ver­tie­fung bil­det, und das Zell­ske­lett, das sich unter­halb der Mem­bran befin­det. Denn von der Festig­keit der Mem­bran und des Zell­ske­letts hängt der mecha­ni­sche Wider­stand ab, auf den Bak­te­ri­en und ande­re Krank­heits­trä­ger tref­fen. Die For­scher in Bay­reuth und Eind­ho­ven haben jetzt erst­mals gemes­sen, dass sich die­ser Wider­stand erheb­lich ändert, wäh­rend die Immun­zel­le sich den Fremd­kör­per ein­ver­leibt. Es ist ihnen außer­dem gelun­gen, die­se Schwan­kun­gen der mecha­ni­schen Zell­ei­gen­schaf­ten mit hoher Prä­zi­si­on phy­si­ka­lisch zu beschreiben.

Unter­schie­de zwi­schen gesun­den und kran­ken Zel­len: Mög­li­che Anwen­dun­gen in der medi­zi­ni­schen Diagnostik

Das neue Mess­ver­fah­ren ist nicht nur für die Grund­la­gen­for­schung inter­es­sant. Es könn­te in Zukunft auch moder­ne Dia­gno­se­me­tho­den in der Medi­zin unter­stüt­zen. Denn durch die Mes­sun­gen lässt sich mit hoher Genau­ig­keit ermit­teln, wie die Mem­bran und das Zell­ske­lett gesun­der Immun­zel­len nor­ma­ler­wei­se reagie­ren, wenn sie Bak­te­ri­en und ande­re krank­heits­er­re­gen­de Par­ti­kel unschäd­lich machen. Auf die­ser Grund­la­ge kön­nen auch Abwei­chun­gen prä­zi­se regi­striert werden.

„Wenn Immun­zel­len nicht das mecha­ni­sche Stan­dard­ver­hal­ten zei­gen, das bei gesun­den Zel­len ermit­telt wor­den ist, kann das auf krank­haf­te Vor­gän­ge in der Immun­zel­le hin­wei­sen“, erklärt Prof. Dr. Hol­ger Kress. „Denn erkrank­te Zel­len – bei­spiels­wei­se im Gewe­be von Tumo­ren – wei­sen recht häu­fig auch Ände­run­gen in ihren mecha­ni­schen Eigen­schaf­ten auf. Dies gilt nicht nur für Immun­zel­len, son­dern auch für zahl­rei­che ande­re Zell­arten. Des­halb sind wir durch­aus opti­mi­stisch, dass unser neu­es Ver­fah­ren nicht allein die Auf­klä­rung der Pha­go­zy­to­se vor­an­bringt, son­dern auch dazu bei­tra­gen kann, medi­zi­ni­sche Dia­gno­se­mög­lich­kei­ten zu erweitern.“

Ver­öf­fent­li­chung

Mat­thi­as Irm­scher, Arthur M. de Jong, Hol­ger Kress and Men­no W. J. Prins,
A method for time-resol­ved mea­su­re­ments of the mecha­nics of pha­go­cy­tic cups
in: Jour­nal of the Roy­al Socie­ty Inter­face, 6 May 2013 vol. 10 no. 82
DOI: 10.1098/rsif.2012.1048

Ansprech­part­ner

Prof. Dr. Hol­ger Kress
Lehr­stuhl Expe­ri­men­tal­phy­sik I
Uni­ver­si­tät Bayreuth
D‑95440 Bayreuth
Tel.: +49 (0)921 55 2505
E‑Mail: holger.​kress@​uni-​bayreuth.​de