Bay­reu­ther Gene­ti­ker prä­sen­tie­ren neue For­schungs­er­geb­nis­se zur Funk­ti­ons­wei­se von Kohäsin

Symbolbild Bildung

Wie „mole­ku­la­re Kara­bi­ner“ die Zell­tei­lung beim Men­schen regu­lie­ren: Ver­öf­fent­li­chung im renom­mier­ten Jour­nal der Euro­pean Mole­cu­lar Bio­lo­gy Orga­ni­sa­ti­on (EMBO)

Das Erb­ma­te­ri­al einer Zel­le zu glei­chen Tei­len auf die zwei neu ent­ste­hen­den Toch­ter­zel­len zu über­tra­gen, ist die Haupt­auf­ga­be der Zell­tei­lung (Mitose). Damit die­se Auf­ga­be gelingt, muss – noch bevor die Zell­tei­lung ein­setzt – jedes Chro­mo­som ver­dop­pelt wer­den. Zunächst besteht jedes Chro­mo­som aus einem DNA-Faden, einem Chro­ma­tid. Hier­von ent­steht im Vor­gang der Repli­ka­ti­on eine Kopie, so dass pro Chro­mo­som zwei glei­che DNA-Fäden – die so genann­ten Schwe­ster-Chro­ma­ti­den – exi­stie­ren. Wie aber ist gewähr­lei­stet, dass jede Toch­ter­zel­le bei der Zell­tei­lung genau einen der bei­den DNA-Fäden erhält und dadurch in gene­ti­scher Hin­sicht nicht schlech­ter aus­ge­stat­tet ist als die Aus­gangs­zel­le? Über neue For­schungs­er­geb­nis­se, die zur Auf­klä­rung die­ser grund­le­gen­den Fra­ge bei­tra­gen, berich­ten Johan­nes Buhei­tel M.Sc. und Prof. Dr. Olaf Stem­mann vom Lehr­stuhl Gene­tik der Uni­ver­si­tät Bay­reuth in der Online-Aus­ga­be des EMBO Journals.

Kohä­sin­rin­ge schüt­zen vor Chromosomenverlust

Ein mole­ku­la­rer Kom­plex, der von der For­schung als Kohä­sin bezeich­net wird, hat eine Schlüs­sel­funk­ti­on bei der Zell­tei­lung. Kohä­sin besteht im Wesent­li­chen aus drei lang gestreck­ten Pro­te­inen: Scc1, Smc1 und Smc3. Die­se Pro­te­ine sind an ihren Längs­en­den durch mole­ku­la­re Wech­sel­wir­kun­gen anein­an­der­ge­schlos­sen und bil­den dadurch eine ring­för­mi­ge Struk­tur, die mit einem Kara­bi­ner ver­gleich­bar ist. Die­se Kohä­sin­rin­ge umschlie­ßen die bei­den glei­chen DNA-Fäden eines jeden Chro­mo­soms und hal­ten sie zusam­men. Mit die­sem Kunst­griff ist gesi­chert, dass die Zel­le „weiß“, bei wel­chen DNA- Fäden es sich um zusam­men­ge­hö­ri­ge Schwe­ster-Chro­ma­ti­den han­delt, die auf die ent­ste­hen­den Toch­ter­zel­len ver­teilt wer­den müssen.

Damit sich nun aber die Schwe­ster-Chro­ma­ti­den von­ein­an­der tren­nen und das Erb­ma­te­ri­al der neu ent­ste­hen­den Toch­ter­zel­len bil­den kön­nen, müs­sen sie aus der Umklam­me­rung durch die Kohä­sin­rin­ge her­aus­ge­löst wer­den. Dies geschieht in zwei Pha­sen: Bereits zu Beginn der Zell­tei­lung – wäh­rend der Pro­pha­se – wer­den die mei­sten Kohä­sin­rin­ge von den Chro­mo­so­men ent­fernt. Die weni­gen ver­blei­ben­den Kohä­sin­rin­ge hal­ten die bei­den DNA-Fäden unge­fähr in der Mit­te zusam­men, bis sie im wei­te­ren Ver­lauf der Zell­tei­lung schließ­lich zer­stört wer­den. Dann ent­fer­nen sich die Chro­ma­ti­den immer wei­ter in ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tun­gen, bis die Zell­tei­lung mit der Her­aus­bil­dung zwei­er selb­stän­di­ger Toch­ter­zel­len abge­schlos­sen ist.

Auf­fäl­lig ist, dass die­je­ni­gen Kohä­sin­rin­ge, die wäh­rend der Pro­pha­se von den Chro­mo­so­men ent­fernt wer­den, dabei nicht zer­stört wer­den. Die ein­zi­ge dafür infra­ge kom­men­de Erklä­rung ist, dass sich die Kohä­sin­rin­ge wie Kara­bi­ner­ha­ken öff­nen; und zwar dort, wo zwei der drei Pro­te­ine Scc1, Smc1 und Smc3 inein­an­der grei­fen. Die Bay­reu­ther For­scher haben in ihrer im EMBO Jour­nal ver­öf­fent­lich­ten Stu­die nach­wei­sen kön­nen, wo genau sich die Kohä­sin­rin­ge in der Pro­pha­se öff­nen: näm­lich immer nur an der Ver­bin­dungs­stel­le von Scc1 und Smc3.

Neue Erkennt­nis­se zur „Cho­reo­gra­phie“ der Zellteilung

Die­se Ergeb­nis­se sind umso inter­es­san­ter, als Stem­mann und Buhei­tel zugleich eine wei­te­re Fra­ge bezüg­lich der Zell­tei­lung beim Men­schen beant­wor­ten konn­ten. Aus Ver­su­chen mit Bäcker­he­fe war bereits bekannt, wie die Chro­mo­so­men die­ser Mikro­or­ga­nis­men in die Kohä­sin­rin­ge hin­ein gelan­gen. Auch hier öff­nen sich die Kohä­sin­rin­ge, um die Chro­mo­so­men auf­zu­neh­men, die zu die­sem Zeit­punkt noch aus einem ein­zi­gen DNA-Faden bestehen. Aller­dings fin­det die­se Öff­nung immer nur an der Ver­bin­dungs­stel­le von Smc1 und Smc3 statt. Den Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­lern ist jetzt der Nach­weis gelun­gen, dass sich die Kohä­sin­rin­ge in mensch­li­chen Zel­len genau­so verhalten.

„Unse­re For­schungs­ar­bei­ten bele­gen, dass es sich bei der Zell­tei­lung um einen hoch­gra­dig regu­lier­ten Vor­gang han­delt“, erklärt Stem­mann. „Um die Chro­mo­so­men in die ring­för­mi­gen Pro­te­in­struk­tu­ren ein­zu­fä­deln und nach der Ver­dop­pe­lung der DNA-Fäden sicher­zu­stel­len, dass die Schwe­ster-Chro­ma­ti­den zunächst bei­sam­men blei­ben, öff­net und schließt sich das Kohä­sin immer an der glei­chen Stel­le. Um aber die Chro­ma­ti­den her­aus­zu­las­sen, öff­net sich das Kohä­sin hin­ge­gen an einer ande­ren Stel­le. Wir haben es sozu­sa­gen mit zwei sepa­ra­ten, nur für kur­ze Zeit geöff­ne­ten Ein­bahn­stra­ßen zu tun, die gewähr­lei­sten, dass bei­de Vor­gän­ge räum­lich klar getrennt und dadurch leich­ter regu­lier­bar sind.“ Die Tat­sa­che, dass die in Expe­ri­men­ten mit Bäcker­he­fe ermit­tel­ten Abläu­fe sich bei der Tei­lung mensch­li­cher Zel­len wie­der­fin­den, ist ein Beleg dafür, wie bedeut­sam die­se Mecha­nis­men für die feh­ler- und stö­rungs­freie Ent­wick­lung höhe­rer Orga­nis­men sind.

Ein Fort­schritt für das Ver­ständ­nis Kohä­sin-asso­zi­ier­ter Krankheiten

Es sind heu­te zwei Krank­hei­ten bekannt, die direkt auf Defek­te in der Regu­la­ti­on von Kohä­sin zurück­zu­füh­ren sind: das Roberts-Syn­drom und das Cor­ne­lia-de-Lan­ge-Syn­drom. Die­se ange­bo­re­nen Defek­te äußern sich in teil­wei­se schwe­ren Miss­bil­dun­gen und gei­sti­ger Behin­de­rung; häu­fig füh­ren sie zu einem frü­he­ren Tod der Pati­en­ten. Die Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­ler hof­fen, mit ihren For­schungs­ar­bei­ten die Mecha­nis­men der Kohä­sin-Regu­la­ti­on-Mecha­nis­men wei­ter auf­zu­klä­ren zu kön­nen. „Auf die­se Wei­se wird es uns mög­li­cher­wei­se gelin­gen, Angriffs­punk­te für neue The­ra­pien zu ent­wickeln, die einen feh­ler­frei­en Ablauf der Kohä­sin-Regu­la­ti­on unter­stüt­zen“, meint Johan­nes Buhei­tel M.Sc., der zur­zeit am Lehr­stuhl für Gene­tik an sei­ner Pro­mo­ti­on arbei­tet. Er ist Mit­glied des Dok­to­ran­den­kol­legs „Lead Struc­tures of Cell Func­tion“ im Eli­te­netz­werk Bayern.

Per­spek­ti­ven für die wei­te­re Forschung

Kohä­sin ist am Lebens­zy­klus einer Zel­le in vie­ler Hin­sicht betei­ligt. Über die im aktu­el­len EMBO Jour­nal ver­öf­fent­lich­ten Erkennt­nis­se hin­aus über­nimmt Kohä­sin noch wei­te­re Funk­tio­nen, wie etwa bei der DNA-Ver­dop­pe­lung und der Kon­trol­le von Genen. Es wird häu­fig ver­mu­tet, dass auch hier­bei ein geziel­tes Öff­nen und Schlie­ßen des Rin­ges erfor­der­lich ist, um einen stö­rungs­frei­en Ablauf zel­lu­lä­rer Pro­zes­se zu gewähr­lei­sten. Die For­scher um Prof. Dr. Olaf Stem­mann wol­len künf­tig die­se wei­te­ren Kohä­sin-Funk­tio­nen genau­er unter­su­chen – mit dem Ziel, zu einem umfas­sen­den Ver­ständ­nis die­ses für mensch­li­che Zel­len lebens­wich­ti­gen Pro­te­in­kom­ple­xes vorzudringen.

Ver­öf­fent­li­chung:

Johan­nes Buhei­tel and Olaf Stemmann,
Pro­pha­se pathway-depen­dent rem­oval of cohe­si­on from human chro­mo­so­mes requi­res ope­ning of the Smc3–Scc1 gate,
The EMBO Jour­nal advan­ce online publi­ca­ti­on 29 Janu­ary 2013;
DOI:10.1038/emboj.2013.7

Ansprech­part­ner:

Prof. Dr. Olaf Stemmann
Lehr­stuhl für Genetik
Uni­ver­si­tät Bayreuth
D‑95440 Bayreuth
Tel.: +49 (0)921 55 2702
E‑Mail: olaf.​stemmann@​uni-​bayreuth.​de