Feind­er­ken­nung im Trü­ben: Ele­fan­ten­rüs­sel­fi­sche haben den Durchblick

Elefantenrüsselfisch im Laboratorium des Lehrstuhls für Tierphysiologie, Universität Bayreuth. Foto: Dr. Stefan Machnik

Ele­fan­ten­rüs­sel­fisch im Labo­ra­to­ri­um des Lehr­stuhls für Tier­phy­sio­lo­gie, Uni­ver­si­tät Bay­reuth.
Foto: Dr. Ste­fan Machnik

Lan­ge Zeit gal­ten sie als ein Rät­sel der Evo­lu­ti­on: die Augen des Ele­fan­ten­rüs­sel­fi­sches, eines in den afri­ka­ni­schen Tro­pen leben­den Süß­was­ser­fi­sches. Sei­ne Netz­haut weicht von allen Struk­tu­ren ab, die bei Wir­bel­tie­ren ent­we­der eine maxi­mal hohe Licht­emp­find­lich­keit oder eine best­mög­li­che räum­li­che Auf­lö­sung gewähr­lei­sten. Eine Fehl­kon­struk­ti­on der Natur also? Eine For­schungs­grup­pe, der auch Prof. Dr. Ste­fan Schu­ster an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth ange­hört, hat jetzt eine über­ra­schen­de Erklä­rung gefun­den und berich­tet dar­über im For­schungs­ma­ga­zin „Sci­ence“. Der Ele­fan­ten­rüs­sel­fisch ist dank sei­ner Netz­haut auch in extrem trü­ben Gewäs­sern in der Lage, her­an­na­hen­de Fein­de recht­zei­tig zu orten.

Netz­haut­struk­tur und Foto­re­zep­to­ren: Ein unge­wöhn­li­ches Arrangement

Für die Netz­haut der Ele­fan­ten­rüs­sel­fi­sche ist es cha­rak­te­ri­stisch, dass sie rund 10.000 Bün­del von Foto­re­zep­to­ren auf­weist. Ein Teil jedes die­ser Bün­del befin­det sich in einer becher­ar­ti­gen Ver­tie­fung. Deren inne­re Sei­ten­wän­de sind mit Guan­in­kri­stal­len aus­ge­stat­tet und wir­ken des­halb wie Para­bol­spie­gel: Sie reflek­tie­ren die von außen ein­fal­len­den Licht­strah­len auf den Becher­bo­den, wo ein klei­ner Teil der Foto­re­zep­to­ren opti­mal beleuch­tet wird. Bei die­sen Rezep­to­ren han­delt es sich um Zap­fen, die wie bei allen Wir­bel­tie­ren nicht sehr licht­emp­find­lich sind. Der über­wie­gen­de Teil der Foto­re­zep­to­ren – die Stäb­chen – befin­den sich kurio­ser­wei­se hin­ter den Bechern der Netz­haut; also in einem Bereich, der beson­ders abge­dun­kelt ist. Stäb­chen sind hoch­emp­find­li­che Foto­re­zep­to­ren, die bei Wir­bel­tie­ren für das Sehen in der Däm­me­rung oder in der Dun­kel­heit benö­tigt wer­den. Umso erstaun­li­cher ist es, dass sie ‚extra‘ abge­dun­kelt werden.

Eine der­art unge­wöhn­li­che Anord­nung und Ver­tei­lung der Foto­re­zep­to­ren hat Zoo­lo­gen und Bio­lo­gen seit lan­gem irri­tiert. Denn sie för­dert das Seh­ver­mö­gen des Ele­fan­ten­rüs­sel­fi­sches weder in Bezug auf die Licht­emp­find­lich­keit noch in Bezug auf die räum­li­che Auf­lö­sung. Wel­che Funk­ti­on aber hat sie dann überhaupt?

Durch­blick im Trü­ben: Opti­mal für den Schutz vor schnel­len Feinden

Ver­hal­tens­tests, die maß­geb­lich von Prof. Dr. Ste­fan Schu­ster ent­wickelt wur­den, haben ent­schei­dend zur Lösung des Rät­sels bei­getra­gen. Im Mit­tel­punkt die­ser Tests stand die Fra­ge, unter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen die Fische imstan­de sind, rasch her­an­na­hen­de Fein­de mög­lichst schnell zu erken­nen und recht­zei­tig zu flie­hen. Wie sich dabei her­aus­stell­te, ver­setzt die Anord­nung von Zap­fen und Stäb­chen den Fisch in die Lage, Fein­de auch dann zuver­läs­sig zu erken­nen, wenn sie durch einen Schlei­er von fein­sten Par­ti­keln im Was­ser über­deckt wer­den. Die­se Fähig­keit ist für Ele­fan­ten­rüs­sel­fi­sche äußerst wert­voll, weil sie häu­fig in trü­ben Gewäs­sern behei­ma­tet sind.

Bei ihren Test­rei­hen haben Schu­ster und sei­ne Mit­ar­bei­ter ver­schie­den­ste Sze­na­ri­en unter Was­ser simu­liert. Dabei haben sie bei­spiels­wei­se beob­ach­ten kön­nen, wie die Fische auf dunk­le Gegen­stän­de reagie­ren, die von dich­ten Wol­ken hel­ler Par­ti­kel ver­deckt wer­den. Oder sie haben die Fische mit fein­ge­mu­ster­ten Gegen­stän­den kon­fron­tiert, in deren Nach­bar­schaft sich vie­le ähn­lich aus­se­hen­de Par­ti­kel schnell bewe­gen und ähn­li­che Muster bil­den. „Die Ergeb­nis­se die­ser Tests wei­sen alle in die glei­che Rich­tung“, berich­tet der Bay­reu­ther Tier­phy­sio­lo­ge. „Die Ele­fan­ten­rüs­sel­fi­sche las­sen sich von den opti­schen Stö­run­gen im Trü­ben – wir Bio­lo­gen spre­chen von einem ‚Rau­schen‘ – nicht beein­drucken. Sie besit­zen ein außer­or­dent­lich rausch­to­le­ran­tes Seh­ver­mö­gen. Schnell und sicher kön­nen sie Objek­te in ihrer wei­te­ren Umge­bung aus­ma­chen; selbst dann, wenn es sich um Fraß­fein­de han­delt, die sich mit hoher Geschwin­dig­keit nähern.“

Ursa­che der Rausch­to­le­ranz: die ange­gli­che­ne Emp­find­lich­keit der Fotorezeptoren

Als beson­ders auf­schluss­reich erwies sich ein Expe­ri­ment, mit dem Schu­ster an For­schungs­er­geb­nis­se anknüp­fen konn­te, die Kol­le­gen an den Uni­ver­si­tä­ten Bonn und Bie­le­feld erzielt hat­ten. Dort war in hirn­phy­sio­lo­gi­schen Mes­sun­gen am Ele­fan­ten­rüs­sel­fisch der Nach­weis gelun­gen, dass die Licht­emp­find­lich­keit der Zap­fen und Stäb­chen durch ihre unge­wöhn­li­che Anord­nung ein­an­der ange­gli­chen wird. In einem dämm­ri­gen Licht, wie es in tro­pi­schen Bin­nen­ge­wäs­sern häu­fig vor­kommt, wer­den bei­de Arten von Foto­re­zep­to­ren glei­cher­ma­ßen akti­viert. Mit einer neu­ar­ti­gen Ver­suchs­an­ord­nung konn­te Schu­ster – in Koope­ra­ti­on mit Dr. Ste­fan Streif an der Uni­ver­si­tät Mag­de­burg – zei­gen, dass die hohe Rausch­to­le­ranz nicht mög­lich wäre ohne das Zusam­men­spiel der ein­an­der ange­gli­che­nen Fotorezeptoren.

Rüs­sel und Augen: Per­fek­te Ori­en­tie­rung auf kur­ze und wei­te Distanzen

Die For­schungs­er­geb­nis­se waren für alle betei­lig­ten Wis­sen­schaft­ler eine zoo­lo­gi­sche Über­ra­schung. Denn sie haben zuta­ge geför­dert, dass die Augen des Ele­fan­ten­rüs­sel­fi­sches die Funk­tio­nen sei­nes schma­len, nach vor­ne ver­län­ger­ten Kinns per­fekt ergän­zen. Die­ses Kinn, das äußer­lich an den Rüs­sel eines Ele­fan­ten erin­nert, war der Namens­ge­ber für den Fisch. Es befä­higt ihn dazu, sei­ne Beu­te mit­hil­fe von elek­tri­schen Fel­dern zu detek­tie­ren. Dies ist aller­dings nur auf sehr kur­ze Distan­zen, in einem Umfeld von etwa zehn Zen­ti­me­tern, mög­lich. Die unge­wöhn­lich struk­tu­rier­te Netz­haut erschließt dem Fisch die wei­te­re Umge­bung und schützt ihn selbst vor Fraßfeinden.

In Sicht­wei­te: Tech­no­lo­gi­sche Anwendungsmöglichkeiten

Die Wis­sen­schaft­ler, die ihre Erkennt­nis­se jetzt gemein­sam in „Sci­ence“ vor­stel­len, haben bereits kon­kre­te tech­no­lo­gi­sche Anwen­dungs­mög­lich­kei­ten im Blick – bei­spiels­wei­se Unter­was­ser­ka­me­ras oder auch win­zi­ge Detek­to­ren, die in den mensch­li­chen Blut­bah­nen win­zi­ge gefähr­li­che Abla­ge­run­gen erken­nen können.

„Mehr als zehn Jah­re sind jetzt ver­gan­gen, seit ich mit mei­nen Mit­ar­bei­tern an der Uni­ver­si­tät Frei­burg auf den Ele­fan­ten­rüs­sel­fisch auf­merk­sam wur­de und auf eini­ge Merk­wür­dig­kei­ten im Seh­ver­mö­gen die­ser Tie­re“, erin­nert sich Schu­ster. „Damals galt das noch als eine absei­ti­ge The­ma­tik. Aber im Lau­fe der Zeit haben sich immer mehr Zoo­lo­gen und Bio­lo­gen dafür inter­es­siert. Unse­re gemein­sa­me Ver­öf­fent­li­chung in ‚Sci­ence‘ ist ein sehr gelun­ge­nes Bei­spiel dafür, was ver­netz­te For­schung lei­sten kann. Beharr­li­che lang­jäh­ri­ge Grund­la­gen­for­schung an einer zoo­lo­gi­schen Kurio­si­tät hat schließ­lich zu einem wun­der­ba­ren Erfolg geführt, aus dem span­nen­de und nütz­li­che Anwen­dun­gen her­vor­ge­hen können.“

Ver­öf­fent­li­chung:

Moritz Krey­sing, Roland Pusch, Doro­thee Haver­ka­te, Meik Lands­ber­ger, Jacob Engel­mann, Jani­na Rui­ter, Car­los Mora-Fer­rer, Elke Ulb­richt, Jens Gro­sche, Kri­sti­an Fran­ze, Ste­fan Streif, Sarah Schu­ma­cher, Felix Maka­rov, Johan­nes Kac­za, Jochen Guck, Hart­wig Wol­burg, James K. Bow­ma­ker, Ger­hard von der Emde, Ste­fan Schu­ster, Hans-Joa­chim Wag­ner, Andre­as Rei­chen­bach, and Mike Francke,

Pho­to­nic Cry­stal Light Coll­ec­tors in Fish Reti­na Impro­ve Visi­on in Tur­bid Water,

in: Sci­ence 29 June 2012: 1700–1703.
DOI: 10.1126/science.1218072

Kon­takt­adres­se für wei­te­re Informationen:

Prof. Dr. Ste­fan Schuster
Lehr­stuhl für Tierphysiologie
Uni­ver­si­tät Bayreuth
D‑95440 Bayreuth
Tel.: +49-(0)921 / 55–2470 und ‑2471
E‑Mail: stefan.​schuster@​uni-​bayreuth.​de