Afri­ka­ni­sche Pro­fi­fuß­bal­ler in Deutsch­land: inte­griert und doch als anders­ar­tig ausgegrenzt?

Wie gut sind afri­ka­ni­sche Pro­fi­fuß­bal­ler in Deutsch­land inte­griert? Wel­che Rol­le spielt dabei der sport­li­che Erfolg, und wel­chen Ein­fluss haben tra­dier­te Afri­ka-Kli­schees auf die öffent­li­che Wahr­neh­mung? Mit die­sen Fra­gen befasst sich eine neue For­schungs­ar­beit von Chri­sti­an Ung­ru­he, der als Sozi­al­an­thro­po­lo­ge an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth tätig ist.

Anders­ar­tig, weil afri­ka­nisch: Ste­reo­ty­pen aus der Kolonialzeit

Afri­ka­ni­sche Pro­fi­fuß­bal­ler in Deutsch­land wer­den von Fuß­ball­fans und in der brei­ten Öffent­lich­keit oft bewun­dert, nach sieg­rei­chen Tur­nie­ren sogar als Stars gefei­ert. Hin­ge­gen ist der offen aus­ge­drück­te Ras­sis­mus in den Fuß­ball­sta­di­en wäh­rend der letz­ten 15 Jah­re spür­bar zurück­ge­gan­gen. Inso­fern schei­nen Pro­fi­fuß­bal­ler aus Afri­ka, vor allem wenn sie in der Bun­des­li­ga spie­len, in die deut­sche Gesell­schaft gut inte­griert zu sein. Den­noch ist ihr Bild in der Öffent­lich­keit bis heu­te von Ste­reo­ty­pen geprägt, deren Wur­zeln bis in die Kolo­ni­al­zeit zurück­rei­chen. Oft­mals wird den Spie­ler­per­sön­lich­kei­ten aus Afri­ka, in bewuss­ter Abgren­zung zu ‚wei­ßen’ euro­päi­schen Fuß­bal­lern, eine in ihrem Wesen lie­gen­de Anders­ar­tig­keit zuge­schrie­ben – selbst dann, wenn sie sich in ihren deut­schen Ver­ei­nen zu belieb­ten Stamm­spie­lern ent­wickelt haben.

Zu die­sen Ergeb­nis­sen kommt der Bay­reu­ther Sozi­al­an­thro­po­lo­ge Chri­sti­an Ung­ru­he in einer neu­en Unter­su­chung, die sich mit der Lebens­si­tua­ti­on afri­ka­ni­scher Fuß­bal­ler in Deutsch­land befasst. Sei­ne Stu­die ist Teil des Pro­jekts „Fuß­ball­mi­gra­ti­on – ein Traum von Euro­pa und sei­ne Wir­kung auf das deut­sche Aus­län­der­bild“; sie ent­stand im Rah­men des Baye­ri­schen For­schungs­ver­bunds Migra­ti­on und Wis­sen (For­Mig).

Aus­bil­dungs­zie­le in Euro­pa: Tak­ti­sche Dis­zi­plin statt ‚nai­ver’ Verspieltheit

Als ver­spielt und tak­tisch wenig aus­ge­reift, als ball­ver­liebt und gra­zil, als Aus­druck einer natür­li­chen afri­ka­ni­schen Lebens­freu­de wird die Spiel­wei­se afri­ka­ni­scher Pro­fi­fuß­bal­ler häu­fig beschrie­ben – nicht nur von Fuß­ball­fans und Sport­me­di­en, son­dern auch von Trai­nern und Sport­funk­tio­nä­ren. „Ich habe mit zahl­rei­chen Fuß­ball­spie­lern aus Afri­ka gespro­chen“, berich­tet Ung­ru­he. „Sie alle haben wie­der­holt die Erfah­rung gemacht, dass euro­päi­sche Fuß­ball­clubs ihnen eine stär­ke­re tak­ti­sche Dis­zi­plin ver­mit­teln wol­len. Dabei spie­len offen­bar auch Kli­schees von einer kraft­vol­len, aber nai­ven afri­ka­ni­schen Ursprüng­lich­keit eine Rol­le.“ Eini­ge finanz­kräf­ti­ge Clubs haben in Afri­ka sogar eige­ne Aka­de­mien ein­ge­rich­tet, um früh­zei­tig talen­tier­te Nach­wuchs­spie­ler zu ent­decken und zu för­dern. Auch dort zielt das Trai­ning, wie deren Lei­ter im Inter­view bestä­tig­ten, ins­be­son­de­re dar­auf ab, „spie­le­ri­sche Ball­ver­liebt­heit“ durch stra­te­gi­sche Spiel­pla­nung und tak­ti­sche Dis­zi­plin zurückzudrängen.

Der­ar­ti­ge Aus­bil­dungs­zie­le ste­hen aller­dings in einer Tra­di­ti­ons­li­nie, die bis in die Kolo­ni­al­zeit zurück­führt. Vor allem seit den 1920er Jah­ren haben Kolo­ni­al­ver­wal­ter und christ­li­che Mis­sio­na­re den Sport ein­ge­setzt, um die jun­gen, ver­meint­lich unzi­vi­li­sier­ten Afri­ka­ner im Team zu dis­zi­pli­nie­ren. Von der­ar­ti­gen Vor­stel­lun­gen haben sich die afri­ka­ni­schen Staa­ten seit ihrer Unab­hän­gig­keit ent­schie­den distan­ziert. Mit Nach­druck för­dern sie heu­te in ihren natio­na­len Fuß­ball­teams Spiel­in­tel­li­genz und Tech­nik – in bewuss­ter Abgren­zung von blin­der Mann­schafts­dis­zi­plin, aber auch von einer tak­tisch unaus­ge­reif­ten, schein­bar natür­li­chen Spiel­wei­se. „In Euro­pa wird zu wenig beach­tet, dass afri­ka­ni­sche Pro­fi­ver­ei­ne dazu über­ge­gan­gen sind, ihre Nach­wuchs­ta­len­te gezielt auf die inter­na­tio­nal eta­blier­ten Stan­dards im Pro­fi­fuß­ball vor­zu­be­rei­ten“, meint Ung­ru­he. „Auch dies ist ein Aus­druck der Glo­ba­li­sie­rung im Sport.“

Gelun­ge­ne Inte­gra­ti­on? Posi­ti­ve Umwer­tung tra­dier­ter Klischees

Afri­ka­ni­sche Pro­fi­fuß­bal­ler erle­ben ihre Inte­gra­ti­on in Deutsch­land durch­aus als ambi­va­lent. Denn einer­seits hängt ihre Kar­rie­re wesent­lich davon ab, dass sie sich soge­nann­te ‚euro­päi­sche Fuß­ball­tu­gen­den’ wie Team­geist und aus­ge­reif­te Tak­tik aneig­nen. Ande­rer­seits aber spü­ren sie, dass Ste­reo­ty­pe wie ‚Ursprüng­lich­keit’ und ‚natür­li­che Spiel­freu­de’ wei­ter­hin in Kraft blei­ben. Mehr noch: Der­ar­ti­ge Eigen­hei­ten wer­den vor allem dann, wenn die Fuß­bal­ler sich zu belieb­ten Stars ent­wickeln, als afri­ka­ni­sche Spe­zia­li­tä­ten bewun­dert. Ein Para­dox: Je erfolg­rei­cher die Fuß­ball­ta­len­te aus Afri­ka in ihre Ver­ei­ne und in die deut­sche Gesell­schaft inte­griert sind, desto mehr wer­den sie auf­grund einer ver­meint­li­chen Exo­tik wert­ge­schätzt. Kli­schees, die sich seit der Kolo­ni­al­zeit in dis­kri­mi­nie­ren­der Absicht gegen Men­schen in Afri­ka rich­ten, wer­den durch Inte­gra­ti­ons­er­fol­ge nicht besei­tigt, son­dern erfah­ren eine posi­ti­ve Umwertung.

Man­che Pro­fi­fuß­bal­ler beför­dern die­sen Pro­zess zusätz­lich dadurch, dass sie sich in den Medi­en mit einer exo­tisch anmu­ten­den Ästhe­tik prä­sen­tie­ren. Ung­ru­he spricht in sol­chen Fäl­len von einer „Selbst­cha­ris­ma­ti­sie­rung“ und fragt kri­tisch: „Kann man tat­säch­lich von gelun­ge­ner Inte­gra­ti­on spre­chen, wenn her­kömm­li­che Afri­ka-Kli­schees der­art wirk­mäch­tig bleiben?“

Erfolgs­ab­hän­gi­ge Inte­gra­ti­on: Unter­schie­de zwi­schen Pro­fi- und Amateurfußball

Wie die Stu­die zeigt, hängt es ins­be­son­de­re vom sport­li­chen und öko­no­mi­schen Erfolg ab, wie die deut­sche Öffent­lich­keit auf afri­ka­ni­sche Fuß­bal­ler reagiert. Pro­fi­fuß­bal­ler in deut­schen Erst­li­ga­klubs wer­den als Stars gefei­ert, sie gel­ten gera­de­zu als ‚Vor­zei­ge­mi­gran­ten’. Zu die­ser Ent­wick­lung hat nicht zuletzt die wach­sen­de Zahl afri­ka­ni­scher Fuß­bal­ler bei­getra­gen, die in der Bun­des­li­ga als erfolg­rei­che Lei­stungs­trä­ger agie­ren. Seit der Sai­son 2006 / 2007 ist es recht­lich mög­lich, dass im deut­schen Pro­fi­fuß­ball belie­big vie­le Nicht-EU-Aus­län­der ein­ge­setzt wer­den. In der Rück­run­de der Sai­son 2011 / 2012 spiel­ten 33 Afri­ka­ner aus 17 Län­dern bei zwölf deut­schen Erst­li­ga­ver­ei­nen; in der 2. Bun­des­li­ga waren zu die­sem Zeit­punkt eben­falls 33 afri­ka­ni­sche Fuß­bal­ler aktiv.

Sport­ver­bän­de, Fan­in­itia­ti­ven und Ver­ei­ne im Pro­fi­be­reich set­zen sich schon seit län­ge­rem aktiv dafür ein, ras­si­sti­sche Anfein­dun­gen zu bekämp­fen. Hin­ge­gen sind der­ar­ti­ge Initia­ti­ven im Ama­teur­be­reich sel­te­ner anzu­tref­fen. Ins­be­son­de­re des­halb haben sich ras­si­sti­sche Belei­di­gun­gen und Über­grif­fe in den letz­ten 15 Jah­ren „weit­ge­hend vom Pro­fi- in den Ama­teur­be­reich ver­la­gert“, meint Ung­ru­he. In abge­schwäch­ter Form sei­en sie aber „in allen Fan­sze­nen wei­ter­hin anzutreffen.“

Ver­öf­fent­li­chung:

Chri­sti­an Ung­ru­he, Anders blei­ben. Aus­ein­an­der­set­zun­gen mit Migra­ti­on und Inte­gra­ti­on afri­ka­ni­scher Pro­fi­fuß­bal­ler in Deutschland.
In: Her­bert Popp (Hg.), Migra­ti­on und Inte­gra­ti­on in Deutschland.
Bay­reu­ther Kon­takt­stu­di­um Geo­gra­phie 6,
Bay­reuth: Natur­wis­sen­schaft­li­che Gesell­schaft Bay­reuth 2012, S. 95–105.

Zusätz­lich zu der o.g. Ver­öf­fent­li­chung ist eine aus­führ­li­che­re Dar­stel­lung der For­schungs­er­geb­nis­se in Vor­be­rei­tung und wird vor­aus­sicht­lich im Herbst 2012 erscheinen.