Wenn die Arten­viel­falt unbe­re­chen­bar wird: Schock­wir­kun­gen extre­mer Klimaereignisse

Blick auf die beiden Untersuchungsflächen mit ihren klar voneinander abgegrenzten Feldern im Jahr 1999. Foto: Lehrstuhl für Biogeografie, Universität Bayreuth

Blick auf die bei­den Untersuchungsflächen

Extre­me Kli­ma­er­eig­nis­se kön­nen die Arten­viel­falt und Arten­zu­sam­men­set­zung der Vege­ta­ti­on mas­si­ver stö­ren, als bis­her ange­nom­men wur­de. Nor­ma­ler­wei­se ver­än­dert sich die Vege­ta­ti­on kon­ti­nu­ier­lich und regel­haft: Eini­ge Pflan­zen­ar­ten brei­ten sich aus, ande­re sind auf dem Rück­zug. Welt­weit befasst sich die öko­lo­gi­sche For­schung mit der Her­aus­for­de­rung, sol­che Ent­wick­lun­gen zu pro­gno­sti­zie­ren. Ein For­schungs­team der Uni­ver­si­tät Bay­reuth zeigt jedoch in der neue­sten Aus­ga­be der „Eco­lo­gy Let­ters“, dass extre­me Hit­ze- und Trocken­pe­ri­oden die Arten­viel­falt und Arten­zu­sam­men­set­zung so nach­hal­tig erschüt­tern kön­nen, dass deren Ent­wick­lung in den Fol­ge­jah­ren zufäl­lig und unbe­re­chen­bar wird.

Wie sich Wie­sen­ve­ge­ta­ti­on über Jah­re hin­weg ver­än­dert, haben Prof. Dr. Carl Bei­er­kuhn­lein und sei­ne Arbeits­grup­pe am Lehr­stuhl für Bio­geo­gra­fie seit 1999 inten­siv beob­ach­tet. Auf einem For­schungs­ge­län­de der Uni­ver­si­tät Bay­reuth wur­den zwei räum­lich benach­bar­te Unter­su­chungs­flä­chen ein­ge­rich­tet, die jeweils in 30 gleich gro­ße Fel­der ein­ge­teilt wur­den. Jedes Feld erhielt eine spe­zi­fi­sche Bepflan­zung, die sich aus meh­re­ren Grün­lan­dar­ten – bei­spiels­wei­se aus Glatt­ha­fer und Spitz­we­ge­rich – zusam­men­setz­te. Damit waren auf jeder der bei­den Flä­chen, in kla­rer räum­li­cher Abgren­zung, 30 ver­schie­de­ne Pflan­zen­mi­schun­gen ange­sie­delt. Die Poin­te die­ser Anord­nung: Die bei­den Unter­su­chungs­flä­chen stimm­ten hin­sicht­lich ihrer Bepflan­zung durch­ge­hend über­ein. So konn­ten die For­schun­gen im Jahr 1999 mit 30 ver­schie­de­nen Paa­ren von Zwil­lings­fel­dern begin­nen, die hin­sicht­lich ihrer Arten­viel­falt und Arten­zu­sam­men­set­zung iden­tisch waren.

Lang­jäh­ri­ge Mes­sun­gen auf Ver­gleichs­fel­dern: Hit­ze und Trocken­heit been­den par­al­le­le Entwicklungen

In den fol­gen­den Jah­ren, bis 2008, haben die Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­ler aus allen Fel­dern der bei­den Unter­su­chungs­flä­chen regel­mä­ßig Bio­mas­se­pro­ben ent­nom­men und aus­ge­wer­tet. Dabei stell­te sich her­aus, dass die Zwil­lings­fel­der in den ersten Jah­ren nach 1999 nur unwe­sent­li­che Unter­schie­de hin­sicht­lich ihrer Vege­ta­ti­on auf­wie­sen. Die Ent­wick­lung der anfangs iden­ti­schen Pflan­zen­mi­schun­gen ver­lief weit­ge­hend par­al­lel, wobei die Arten­viel­falt ins­ge­samt leicht zunahm. Die Pflan­zen­ar­ten waren in die­sen Jah­ren kei­nen extre­men Wet­ter­ereig­nis­sen ausgesetzt.

Das änder­te sich jedoch schlag­ar­tig im Som­mer 2003 mit sei­ner extre­men Hit­ze- und Trocken­pe­ri­ode. Seit Beginn der Auf­zeich­nun­gen im Jahr 1851 hat­te es im Raum Bay­reuth kei­ne der­art hohen Durch­schnitts­tem­pe­ra­tu­ren bei so gerin­gen Regen­fäl­len gege­ben. Durch die lang anhal­ten­de Dür­re wur­de die Vege­ta­ti­on auf bei­den Unter­su­chungs­flä­chen schwer geschä­digt. Noch inner­halb des­sel­ben Jah­res drif­te­ten die Arten­zu­sam­men­set­zun­gen auf den 30 Zwil­lings­fel­dern völ­lig aus­ein­an­der. Dabei lie­ßen sich kei­ne Regel­mä­ßig­kei­ten mehr erken­nen. Im Gegen­teil: Es schien weit­ge­hend zufäl­lig, wie sich die Viel­falt und die Zusam­men­set­zung der Arten nach dem Dür­re­schock ver­än­der­te. Bis 2008 wur­de die Ähn­lich­keit, die in den Jah­ren nach 1999 zunächst bestan­den hat­te, nicht wie­der erreicht.

Der Dür­re­schock: Wenn die Arten­viel­falt aus dem Gleich­ge­wicht gerät

Auf­grund ihrer detail­lier­ten Unter­su­chun­gen glau­ben die Bay­reu­ther For­scher aus­schlie­ßen zu kön­nen, dass sich die Zwil­lings­fel­der infol­ge ver­schie­den star­ker Ein­wir­kun­gen aus dem räum­li­chen Umfeld so stark aus­ein­an­der ent­wickelt haben; also bei­spiels­wei­se dadurch, dass neue Pflan­zen­ar­ten vor allem in die außen lie­gen­den Fel­der ein­ge­drun­gen sind. Jür­gen Krey­ling, der die Mess­ergeb­nis­se aus­ge­wer­tet hat, meint dazu: „Die wahr­schein­lich­ste Erklä­rung ist, dass sich die auf den Unter­su­chungs­flä­chen wach­sen­den Pflan­zen­ar­ten nach 1999 zunächst in einem rela­tiv sta­bi­len Gleich­ge­wicht befun­den haben. All­mäh­li­che Ver­än­de­rungs­pro­zes­se in den jewei­li­gen Zwil­lings­fel­dern konn­ten daher gleich­för­mig ver­lau­fen. Erst die extre­me Hit­ze- und Trocken­pe­ri­ode im Som­mer 2003 hat die Vege­ta­ti­on auf bei­den Unter­su­chungs­flä­chen völ­lig aus dem Gleich­ge­wicht gebracht.“

Kon­se­quen­zen für Wirt­schaft und Gesell­schaft: Zuneh­men­de Planungsunsicherheit

Die For­schungs­er­geb­nis­se, die von den Bay­reu­ther Wis­sen­schaft­lern in den „Eco­lo­gy Let­ters“ beschrie­ben wer­den, haben nicht zu unter­schät­zen­de Kon­se­quen­zen für ver­schie­de­ne Berei­che von Wirt­schaft und Gesell­schaft. Denn infol­ge des glo­ba­len Kli­ma­wan­dels sind extre­me Kli­ma­er­eig­nis­se in Zukunft häu­fi­ger zu erwar­ten. Damit aber steigt die Wahr­schein­lich­keit, dass Ent­wick­lun­gen der Arten­viel­falt und der Arten­zu­sam­men­set­zung zufäl­lig ver­lau­fen und sich wis­sen­schaft­li­chen Pro­gno­sen ent­zie­hen. Infol­ge­des­sen schei­nen auch die Ser­vice­lei­stun­gen von Öko­sy­ste­men, die oft­mals auf einem sta­bi­len Mischungs­ver­hält­nis ver­schie­de­ner Pflan­zen­ar­ten beru­hen, in Zukunft weni­ger ver­läss­lich zu sein. Bei der Ent­wick­lung lang­fri­stig ange­leg­ter Kon­zep­te – etwa in der Forst­wirt­schaft, der Land­schafts­ge­stal­tung oder der Was­ser­wirt­schaft – ist daher mit zuneh­men­der Pla­nungs­un­si­cher­heit zu rechnen.