Kunst­ak­ti­on „Schlag­loch­an­geln“ im Land­kreis Hof

BN for­dert: „Stra­ßen sanie­ren statt neue bauen“

Mit einer Kunst­ak­ti­on hat der Bund Natur­schutz auf den Miss­stand auf­merk­sam gemacht, wonach das Staat­li­che Bau­amt Bay­reuth im Land­kreis Hof den Neu­bau wei­te­rer Staats­stra­ßen plant, wäh­rend gleich­zei­tig an allen Ecken und Enden das Geld für den Unter­halt bzw. die Sanie­rung des bestehen­den Stra­ßen­net­zes fehlt.

Mit­glie­der der BN-Kreis­grup­pe Hof angel­ten sym­bo­lisch nach Fischen in einem was­ser­ge­füll­ten Schlag­loch auf der Staats­stra­ße am Orts­ein­gang von Döbra, Lkr. Hof, um zu zei­gen, dass die Schlag­lö­cher mitt­ler­wei­le so lan­ge exi­stie­ren und so tief sind, dass sich dort bereits Fische hal­ten könnten.

„Gera­de am Ende die­ses Win­ters wird es beson­ders deut­lich. Über­all sind im Land­kreis die Stra­ßen maro­de, Schlag­lö­cher machen den Auto­fah­rern das Leben schwer, zer­stö­ren mit­tel­fri­stig die Stoß­dämp­fer und ner­ven Anwoh­ner durch sprit­zen­des Dreck­was­ser und rum­peln­de Fahr­zeu­ge“, so Lars Kum­metz, Stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der der BN-Kreis­grup­pe Hof.

„Wir muss­ten nicht lan­ge suchen, um eine geeig­ne­te Stel­le für unse­re Akti­on zu fin­den“, ergänzt Wolf­gang Degel­mann, Geschäfts­füh­rer der Kreisgruppe.

Laut Staat­li­chem Bau­amt Bay­reuth, zustän­dig für die Land­krei­se Hof, Kulm­bach, Wun­sie­del und Bay­reuth, wird 2011 die größ­te Stra­ßen­sa­nie­rungs­maß­nah­me aller Bun­des- und Staats­stra­ßen im Betreu­ungs­ge­biet auf der Staats­stra­ße 2158 zwi­schen Nai­la und Döbra durch­ge­führt. Dabei soll auf einer Län­ge von zwei Kilo­me­tern (!) ledig­lich eine Teil­sa­nie­rung erle­digt wer­den. Das Vor­ha­ben wird mit einem Maß­nah­men­vo­lu­men von 500.000 € ver­an­schlagt. Die Gesamt­län­ge des Stra­ßen­ab­schnit­tes beträgt aller­dings sechs Kilo­me­ter und wäre laut Aus­sa­ge des Stra­ßen­bau­amts ein äußerst not­wen­di­ger Sanie­rungs­fall. Die dafür not­wen­di­gen Kosten in Höhe von 1 Mil­li­on € müs­sen auf­grund von Mit­tel­knapp­heit im Etat für Stra­ßen­er­halt jedoch auf die näch­sten zwei bis drei Jah­re ver­teilt wer­den, da nur für Stra­ßen­neu­bau Mit­tel in grö­ße­rem Umfang zur Ver­fü­gung stünden.

Wei­te­re Bei­spie­le für Extrem­fäl­le mit strecken­wei­se gefähr­li­chem Stra­ßen­zu­stand sind die Staats­stra­ße 2692 im Bereich zwi­schen der B 173 und Berg, die B2 im Bereich der Orts­durch­fahrt Kon­rads­reuth, die B 173 zwi­schen Nai­la und der Auf­fahrt zur A 72 oder die B 289 zwi­schen Seul­bitz und Stobersreuth.

Die­sem ver­wahr­lo­sten Stra­ßen­zu­stand zum Trotz muss das Staat­li­che Bau­amt im Auf­trag der Staats­re­gie­rung wei­te­re Stra­ßen­neu­bau­ten wie die umstrit­te­ne Orts­um­fah­rung Ober­kot­z­au (St 2177) mit einem Maß­nah­men­vo­lu­men von 14,5 Mil­lio­nen € oder den Aus­bau der Staats­stra­ße 2192 im Bereich Hof-Jägers­ruh planen.

„Aus Sicht des Steu­er­zah­lers ist es doch ein Irr­witz, das bestehen­de Stra­ßen­netz sehen­den Auges ver­rot­ten zu las­sen und im glei­chen Zuge den Neu­bau von Stra­ße vor­an­zu­trei­ben, die dann zwei­mal nicht mehr unter­hal­ten wer­den kön­nen. Die Zah­len für den Land­kreis Hof sind dra­ma­tisch. Wir hof­fen, dass die Kom­mu­nal­po­li­tik in Hof und im Land­kreis dafür sorgt, dass hier die Prio­ri­tä­ten zurecht­ge­rückt wer­den“, so Kummetz.

„Das Pro­blem der Schlag­lö­cher auf Stra­ßen und die Unter­fi­nan­zie­rung des Stra­ßen­er­halts gegen­über dem Neu­bau ist seit lan­gem bekannt. Wir brau­chen mehr Intel­li­genz statt mehr Beton und Asphalt. Bay­ern und Ober­fran­ken ist mit Stra­ßen aus­rei­chend erschlos­sen. Wir for­dern des­halb von der Staats­re­gie­rung im lau­fen­den Ver­fah­ren zum Staats­stra­ßen­aus­bau­plan eine Umschich­tung der Mit­tel hin zum Stra­ßen­er­halt, zum Stop­fen der Löcher und zur Erneue­rung kaput­ter Stra­ßen­be­lä­ge. Die Steu­er­gel­der dür­fen nicht wei­ter für z. T. unnö­ti­ge und ein­fach nicht bezahl­ba­re Neu­bau­ten ver­geu­det wer­den“, so Tom Konop­ka, BN-Regio­nal­re­fe­rent für Oberfranken.

Lei­der plant die Staats­re­gie­rung aller­dings ein „Wei­ter so!“ im Staats­stra­ßen­neu­bau. Erst am 23. Febru­ar 2011 gab Innen­mi­ni­ster Joa­chim Herr­mann bekannt, dass 668 Pro­jek­te im künf­ti­gen Staats­stra­ßen­aus­bau­plan für 3,2 Mil­li­ar­den € ein­ge­plant wer­den sol­len. Pro Jahr sol­len ca. 100 Mio. € für Staats­stra­ßen­neu­bau bereit­ge­stellt wer­den. In den näch­sten Wochen kommt es auf die regio­na­len Ver­tre­te­rIn­nen der Poli­tik an, ob sie die­se Pla­nung mitmachen.

„Mehr Intel­li­genz statt Beton“

Bay­ern ist aus­rei­chend mit Stra­ßen erschlos­sen. Der geplan­te Neu- und Aus­bau des baye­ri­schen Staats­stra­ßen­net­zes scha­det dem Kli­ma- und Arten­schutz, zer­schnei­det und ver­lärmt Land­schaft und Wohn­ge­bie­te, för­dert den Flä­chen­ver­brauch, ver­schärft die Ver­kehrs­pro­ble­me und ver­hin­dert nach­hal­ti­ge Mobi­li­täts­kon­zep­te. Die Staat­stra­ßen­pla­nung ist intrans­pa­rent und ver­schwen­det Steu­er­gel­der. Ein neu­er Staats­stra­ßen­plan muss die geän­der­ten Rah­men­be­din­gun­gen und die Fest­le­gun­gen der Staats­re­gie­rung zum Kli­ma­schutz, Flä­chen­schutz und Erhalt der bio­lo­gi­schen Viel­falt berück­sich­ti­gen und – bis auf weni­ge Aus­nah­men – vor­ran­gig die Sub­stanz­er­hal­tung des bestehen­den Staat­stra­ßen­net­zes sichern.

Der Bund Natur­schutz for­dert des­halb Mobi­li­täts­pla­nung statt Stra­ßen­pla­nung, Kla­re Prio­ri­tät für Erhal­tungs­in­ve­sti­ti­on und Rück­bau mit Ver­kehrs­be­ru­hi­gung in Orts­durch­fahr­ten statt Neu­bau, ein Ende der „Wunsch­zet­tel­pla­nung“ bei der Staat­stra­ßen­pla­nung in Bay­ern, die Betei­li­gung der Öffent­lich­keit, der Natur­schutz­ver­bän­de und des baye­ri­schen Land­ta­ges an der Auf­stel­lung des Staats­stra­ßen­plans 2010, eine Kon­flikt­re­du­zie­rung durch Stopp von über­zo­ge­nen Pla­nun­gen bzw. fun­dier­te Alter­na­ti­venprü­fung und eine Ände­rung der Anreiz­sy­ste­me und För­der­richt­li­ni­en für Kreis- und Gemein­de­ver­bin­dungs­stra­ßen, die einen über­zo­ge­nen Aus­bau und die Ver­brei­te­rung mit ent­spre­chen­den Ein­grif­fen statt Sub­stanz­er­halt erzwingen

Situa­ti­on der baye­ri­schen Staatstraßenplanung

Die baye­ri­sche Staats­re­gie­rung betreibt seit Jahr­zehn­ten kei­ne Mobi­li­täts­po­li­tik aus einem Guss son­dern unter Ver­ant­wor­tung der jewei­li­gen Innen­mi­ni­ster, mit Zustim­mung der Land­tags­mehr­heit durch die Hau­halts­ent­schei­dun­gen, rei­ne Straßenbaupolitik.

Es besteht ein gro­ßer Erhal­tungs­rück­stand im 13.603 km lan­gen baye­ri­schen Staats­stra­ßen­netz. Nach Dar­stel­lung der zustän­di­gen Ober­sten Bau­be­hör­de (OB) ist rund ein Drit­tel der Staat­stra­ßen repa­ra­tur­be­dürf­tig, der Ober­ste Rech­nungs­hof kri­ti­siert seit Jah­ren die­sen Zustand. Man­geln­der Stra­ßen­un­ter­halt führt zu höhe­ren Wie­der­her­stel­lungs­ko­sten und ver­braucht einen grö­ße­ren Anteil des Steueraufkommens.

Es besteht kein Inter­es­se der Stra­ßen­bau­ver­wal­tung, der Stra­ßen­bau­un­ter­neh­men und vie­ler Land­tags­ab­ge­ord­ne­ter an Mobi­li­täts­lö­sun­gen son­dern am „Wei­ter so“, um Bau­auf­trä­ge und Arbeits­plät­ze in der Ver­wal­tung zu sichern.

Auf Grund­la­ge inter­es­se­ge­leite­ter Ver­kehrs­pro­gno­sen, die den Bevöl­ke­rungs­rück­gang und stei­gen­de Ener­gie­ko­sten aus­blen­den und das wei­te­re Wachs­tum des Stra­ßen­ver­kehrs als „unab­än­der­lich“ anse­hen, wer­den teu­re Bau­pro­jek­te statt ange­pass­ter Lösun­gen geplant und durch­ge­setzt. Das bedeu­tet zuneh­mend kreu­zungs­freie Staat­stra­ßen und Orts­um­fah­run­gen mit mög­lichst viel Brücken- und Ram­pen­bau­wer­ken mit der Begrün­dung, „die Lei­stungs­fä­hig­keit, Flüs­sig­keit und Schnel­lig­keit des Stra­ßen­ver­kehrs zu verbessern“.

Nach den zu Grun­de lie­gen­den Ver­kehrs­pro­gno­sen geht die Stra­ßen­bau­ver­wal­tung von wei­ter stark wach­sen­den Ver­kehrs­auf­kom­men auf der Stra­ße aus. Da bei vie­len Pro­jek­ten die rea­len Ver­kehrs­zah­len kei­ne Baunot­wen­dig­keit begrün­den, wird der Pro­gno­se­ho­ri­zont 2025 her­an­ge­zo­gen und kei­ne Ände­rung der ver­kehrs­po­li­ti­schen Rand­be­din­gun­gen unter­stellt. Tat­säch­lich ist nach dem „Jah­res­be­richt 2009“ der Ober­sten Bau­be­hör­de zum „Ver­kehrs- und Unfall­ge­sche­hen auf Stra­ßen des über­ört­li­chen Ver­kehrs in Bay­ern vom August 2010 „in den ver­gan­ge­nen zehn Jah­ren der durch­schnitt­li­che täg­li­che Ver­kehr (DTV) auf Auto­bah­nen und Bun­des­stra­ßen jähr­lich um durch­schnitt­lich 0,4% gestie­gen, wäh­rend er auf Staats- und Kreis­stra­ßen etwa gleich geblie­ben ist (Ober­ste Bau­be­hör­de, Ver­kehrs- und Unfall­ge­sche­hen auf Stra­ßen des über­ört­li­chen Ver­kehrs in Bay­ern, Jah­res­be­richt 2009, August 2010).

Es fin­det kei­ne Abstim­mung mit den Erfor­der­nis­sen des öffent­li­chen Ver­kehrs oder einer Flä­chen spa­ren­den Sied­lungs­ent­wick­lung statt. Auf­grund einer „Wunsch­li­sten­pla­nung“ statt einer Bedarfs­pla­nung wur­de den Gemein­den mit Son­der­för­der­pro­gram­men wie z.B. dem Pro­gramm „Staats­stra­ßen­um­fah­run­gen in gemeind­li­cher Son­der­bau­last“ mit För­de­rung zwi­schen 70 und 90 Pro­zent durch den Frei­staat wei­te­re über­di­men­sio­nier­te Pro­jek­te ermöglicht.

Die Vor­be­rei­tung eines Mini­ster­rats­be­schluss zum neu­en Staats­stra­ßen­plan mit Gül­tig­keit zum 1.1. 2011 wur­den ohne Öffentlichkeits‑, Par­la­ments, und Ver­bands­be­tei­li­gung durchgeführt.

Der Aus­bau­plan für die Staat­stra­ßen hat im Gegen­satz zum Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan kei­ne Geset­zes­kraft, son­dern ist eine Dring­lich­keits­rei­hung der Aus­bau­zie­le mit Beschluss­fas­sung durch den Mini­ster­rat. Nach Anga­ben der Ober­sten Bau­be­hör­de wird auf­grund des Mini­ster­rats­be­schlus­ses vom Sep­tem­ber 2007 der der­zeit gül­ti­ge 6. Aus­bau­plan für die Staats­stra­ßen in Bay­ern fort­ge­schrie­ben und ein aktua­li­sier­ter 7. Aus­bau­plan vorbereitet.

Hier­zu haben die Staat­li­chen Bau­äm­ter der Ober­sten Bau­be­hör­de nach Anga­ben von „Stra­ßen­bau­mi­ni­ster“ Joa­chim Her­mann am 2.11.2010 bei der „Ver­kehrs­kon­fe­renz West­mit­tel­fran­ken“ 951 Pro­jek­te mit einem Volu­men von 4,1 Mil­li­ar­den Euro gemel­det. Laut Her­mann kön­nen in die 1. Dring­lich­keits­stu­fe für die näch­sten 10 Jah­re „nur Maß­nah­men für eine Mil­li­ar­de rea­li­stisch auf­ge­nom­men wer­den“ (FLZ, 2.11.2010). Die­se Pro­jek­te wer­den einem gesamt­wirt­schaft­li­chen Bewer­tungs­ver­fah­ren unter­zo­gen, das auf­grund der gesetz­ten Rand­be­din­gun­gen eine Schein­ra­tio­na­li­tät vortäuscht.

Finan­zie­rung: Nach Anga­ben der OB wur­den im Jahr 2009 353 Mio. Euro allein für die Staats­stra­ßen aus­ge­ge­ben. Die­se tei­len sich auf in Maß­nah­men des Aus­bau­plans (78 Mio.), Son­sti­ger Um- und Aus­bau (33 Mio.), Bestands­er­hal­tung (119 Mio.), Pla­nung und Bau­lei­tung (27 Mio.), Betriebs­dienst (96 Mio.). Damit wur­de allein für die Staat­stra­ßen mehr als drei­mal soviel aus­ge­ge­ben wie im Etat des Umwelt­mi­ni­ste­ri­ums mit 110 Mio. Euro für den gesam­ten Bereich des Natur- und Umwelt­schut­zes im Jahr 2010 vor­ge­se­hen sind.

Innen­mi­ni­ster Joa­chim Her­mann kon­ze­diert jedoch für die Staat­stra­ßen im August 2010 einen „Nach­hol­be­darf für die Erhal­tung der Fahr­bah­nen von bay­ern­weit rund 720 Mio. Euro“.